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christian
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-Geographische Bedingungen, seien sie natürliche oder durch [[a:Arbeit]] bereits veränderte Umwelten menschlicher Vergesellschaftung, werden als [[m:materiell|materielle]] Lebensverhältnisse menschlicher Tätigkeit wirksam. Die [[f:Frage]] nach dem Einfluss dieser Bedingungen auf gesellschaftliche Entwicklung bildet den gemeinsamen Hintergrund verschiedener Ansätze eines gM.+Geographische Bedingungen, seien sie natürliche oder durch [[a:Arbeit]] bereits veränderte Umwelten menschlicher Vergesellschaftung, werden als [[m:materiell|materielle]] Lebensverhältnisse menschlicher Tätigkeit wirksam. Die [[f:Frage]] nach dem Einfluss dieser Bedingungen auf gesellschaftliche [[e:Entwicklung]] bildet den gemeinsamen Hintergrund verschiedener Ansätze eines gM.
  
-Karl Hermann Tjaden bestimmt »ökonomische Gesellschaftsformationen als Formen der gesellschaftlichen Bewältigung des materiellen Austausches zwischen menschlicher und außermenschlicher Natur«; insofern »sind die Formen menschlicher Vergesellschaftung in bestimmten Naturverhältnissen begründet, in ihnen vermittelt und auf sie bezogen« (1977, 11). Wenn Engels unter »ökonomischen Verhältnissen, die wir als bestimmende Basis der Geschichte […] ansehen«, die Art und Weise versteht, »worin die Menschen einer bestimmten Gesellschaft ihren Lebensunterhalt produzieren und die Produkte untereinander austauschen«, so umfassen diese Verhältnisse auch die »//geographische Grundlage//, worauf diese sich abspielen« (an Borgius, 25.1.1894, 39/205).+Karl Hermann Tjaden bestimmt »ökonomische [[g:Gesellschaftsformation|Gesellschaftsformationen]] als Formen der gesellschaftlichen Bewältigung des materiellen Austausches zwischen menschlicher und außermenschlicher Natur«; insofern »sind die Formen menschlicher Vergesellschaftung in bestimmten Naturverhältnissen begründet, in ihnen vermittelt und auf sie bezogen« (1977, 11). Wenn Engels unter »ökonomischen Verhältnissen, die wir als bestimmende Basis der [[g:Geschichte]] […] ansehen«, die Art und Weise versteht, »worin die Menschen einer bestimmten [[g:Gesellschaft]] ihren Lebensunterhalt produzieren und die Produkte untereinander austauschen«, so umfassen diese Verhältnisse auch die »//geographische Grundlage//, worauf diese sich abspielen« (an Borgius, 25.1.1894, 39/205).
  
 Die von Ludwig Woltmann aufgebrachte Bezeichnung »gM« (1900, 6) wird in den 1920er Jahren von Karl August Wittfogel, dem China-Spezialisten der KPD, begrifflich aufgearbeitet. Wittfogel zufolge gelang Montesquieu der »Durchbruch zu einer […] geographisch-materialistischen <!--[-->[[g:Geschichtsphilosophie|Geschichtsphilosophie]]<!--]-->« (1929, 490). Die »bürgerlich revolutionären Denker« kennzeichne ein aus der »Sphäre des sich industrialisierenden Wirtschaftsprozesses« dringender »naturwissenschaftlicher Zug« (486); sie suchten die »bisher herrschende Geschichtsschreibung durch eine materialistische Betrachtung zu ersetzen […], wobei ihnen das bestimmende Moment […] ein Teil oder die Gesamtheit der geographischen Momente zu sein schien« (496). Unter Bezug auf Marx, Engels, Plechanow u.a. entwickelt Wittfogel ein an der <!--[-->[[d:Dialektik|Dialektik]]<!--]--> von natürlichen und gesellschaftlichen Produktivkräften ansetzendes [[h:historisch-kritisch|historisch-kritisches]] Verständnis des gM und deckt einen – bis ins 21. Jh. fortwirkenden – geographischen Geschichtsdeterminismus auf. Aus letzterem sieht er zumal die zeitgenössische Debatte um »<!--[-->[[g:Geopolitik|Geopolitik]]<!--]-->« als »Rückbildung« (500) hervorgehen. Gegen sie, die »zwischen 1916 und 1944 […] in den publizistischen <!--[-->[[k:Kampf|Kämpfen]]<!--]--> gegen die Versailler Verträge, dann zur Legitimation der NS-Großraumpolitik ihren Höhepunkt« erreichte (Teschke 2001, 323), bringt Wittfogel das aufklärerische Konzept des gM und seinen eigenen, vom »Naturmoment in der marxschen Geschichtskonzeption« (1929, 500) ausgehenden Ansatz in Stellung. Die von Ludwig Woltmann aufgebrachte Bezeichnung »gM« (1900, 6) wird in den 1920er Jahren von Karl August Wittfogel, dem China-Spezialisten der KPD, begrifflich aufgearbeitet. Wittfogel zufolge gelang Montesquieu der »Durchbruch zu einer […] geographisch-materialistischen <!--[-->[[g:Geschichtsphilosophie|Geschichtsphilosophie]]<!--]-->« (1929, 490). Die »bürgerlich revolutionären Denker« kennzeichne ein aus der »Sphäre des sich industrialisierenden Wirtschaftsprozesses« dringender »naturwissenschaftlicher Zug« (486); sie suchten die »bisher herrschende Geschichtsschreibung durch eine materialistische Betrachtung zu ersetzen […], wobei ihnen das bestimmende Moment […] ein Teil oder die Gesamtheit der geographischen Momente zu sein schien« (496). Unter Bezug auf Marx, Engels, Plechanow u.a. entwickelt Wittfogel ein an der <!--[-->[[d:Dialektik|Dialektik]]<!--]--> von natürlichen und gesellschaftlichen Produktivkräften ansetzendes [[h:historisch-kritisch|historisch-kritisches]] Verständnis des gM und deckt einen – bis ins 21. Jh. fortwirkenden – geographischen Geschichtsdeterminismus auf. Aus letzterem sieht er zumal die zeitgenössische Debatte um »<!--[-->[[g:Geopolitik|Geopolitik]]<!--]-->« als »Rückbildung« (500) hervorgehen. Gegen sie, die »zwischen 1916 und 1944 […] in den publizistischen <!--[-->[[k:Kampf|Kämpfen]]<!--]--> gegen die Versailler Verträge, dann zur Legitimation der NS-Großraumpolitik ihren Höhepunkt« erreichte (Teschke 2001, 323), bringt Wittfogel das aufklärerische Konzept des gM und seinen eigenen, vom »Naturmoment in der marxschen Geschichtskonzeption« (1929, 500) ausgehenden Ansatz in Stellung.
  
-In der marxistischen Debatte geriet Wittfogels Arbeit ins Abseits, auch weil sich mit Stalin und Mao ein Verständnis gesellschaftlicher Entwicklung durchsetzte, das von natürlichen und geographischen Bedingungen weitgehend abstrahiert. Wittfogels Auseinandersetzung mit Natur und Geographie als sich verändernde Bedingungen gesellschaftlicher Entwicklung kann jedoch fruchtbar gemacht werden für die Suche nach einer <!--[-->[[l:Lebensweise, Lebensbedingungen|Lebensweise]]<!--]-->, in der »die assoziierten Produzenten […] ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, […] statt von ihm als von einer blinden <!--[-->[[m:Macht|Macht]]<!--]--> beherrscht zu werden« (Marx, //K III//, 25/828).+In der marxistischen Debatte geriet Wittfogels Arbeit ins Abseits, auch weil sich mit Stalin und Mao ein Verständnis gesellschaftlicher Entwicklung durchsetzte, das von natürlichen und geographischen Bedingungen weitgehend abstrahiert. Wittfogels Auseinandersetzung mit Natur und Geographie als sich verändernde Bedingungen gesellschaftlicher Entwicklung kann jedoch fruchtbar gemacht werden für die Suche nach einer <!--[-->[[l:Lebensweise, Lebensbedingungen|Lebensweise]]<!--]-->, in der »die assoziierten Produzenten […] ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, […] statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden« (Marx, //K III//, 25/828).
  
-➫ [[a:anschauender Materialismus]], [[a:Arbeit]], <!--[-->[[a:Armut/Reichtum|Armut/Reichtum]]<!--]-->, [[a:asiatische Produktionsweise]], [[b:bürgerliche Revolution]], <!--[-->[[d:Darwinismus|Darwinismus]]<!--]-->, <!--[-->[[d:Destruktivkräfte|Destruktivkräfte]]<!--]-->, <!--[-->[[d:Determinismus|Determinismus]]<!--]-->, <!--[-->[[e:Emanzipation|Emanzipation]]<!--]-->, <!--[-->[[e:Energie|Energie]]<!--]-->, [[e:Entwicklung]], [[e:Erde]], [[e:Evolution]], <!--[-->[[e:Evolutionismus|Evolutionismus]]<!--]-->, [[f:Feudalismus-Debatte]], <!--[-->[[f:Formationenfolge, vorkapitalistische Gesellschaftsformationen|Formationenfolge/vorkapitalistische Gesellschaftsformationen]]<!--]-->, [[g:Geopolitik]], [[g:Gesellschaftsformation]], [[g:globale Stadt]], [[h:historischer Materialismus]], <!--[-->[[i:Imperialismus|Imperialismus]]<!--]-->, <!--[-->[[k:Kapitalismusentstehung|Kapitalismusentstehung]]<!--]-->, <!--[-->[[k:Klima|Klima]]<!--]-->, [[k:Klimapolitik]], <!--[-->[[k:Kolonialismus|Kolonialismus]]<!--]-->, <!--[-->[[m:Malthusianismus|Malthusianismus]]<!--]-->, [[m:Materialismus (mechanischer)|Materialismus (mechanischer)]], [[m:Mensch-Natur-Verhältnis]], <!--[-->[[m:Menschwerdung|Menschwerdung]]<!--]-->, nachhaltige Entwicklung, Natur, Naturbeherrschung, Naturdialektik, Naturgeschichte, Naturverhältnisse (gesellschaftliche), naturwüchsig, Nord-Süd-Konflikt, Ökokolonialismus, Ökologie, ökologischer Imperialismus, Periodisierung der Geschichte, Petrosozialismus, Physiokraten, Produktionsweise, Produktivkräfte/Produktionsverhältnisse, Produktivkraftentwicklung, Rassismus, Raubbau, Raum, Reproduktionsbedingungen, Ressourcen, Staatsentstehung, Stadt/Land, Stalinismus, Stoffwechsel, Technikdeterminismus, Umwelt, Wechselwirkung, Weltmarkt, zweite Natur, zweiter Widerspruch des Kapitalismus+➫ [[a:anschauender Materialismus]], [[a:Arbeit]], <!--[-->[[a:Armut/Reichtum|Armut/Reichtum]]<!--]-->, [[a:asiatische Produktionsweise]], [[b:bürgerliche Revolution]], <!--[-->[[d:Darwinismus|Darwinismus]]<!--]-->, <!--[-->[[d:Destruktivkräfte|Destruktivkräfte]]<!--]-->, <!--[-->[[d:Determinismus|Determinismus]]<!--]-->, <!--[-->[[e:Emanzipation|Emanzipation]]<!--]-->, <!--[-->[[e:Energie|Energie]]<!--]-->, [[e:Entwicklung]], [[e:Erde]], [[e:Evolution]], <!--[-->[[e:Evolutionismus|Evolutionismus]]<!--]-->, [[f:Feudalismus-Debatte]], <!--[-->[[f:Formationenfolge, vorkapitalistische Gesellschaftsformationen|Formationenfolge/vorkapitalistische Gesellschaftsformationen]]<!--]-->, [[g:Geopolitik]], [[g:Gesellschaftsformation]], [[g:globale Stadt]], [[h:historischer Materialismus]], <!--[-->[[i:Imperialismus|Imperialismus]]<!--]-->, <!--[-->[[k:Kapitalismusentstehung|Kapitalismusentstehung]]<!--]-->, <!--[-->[[k:Klima|Klima]]<!--]-->, [[k:Klimapolitik]], <!--[-->[[k:Kolonialismus|Kolonialismus]]<!--]-->, <!--[-->[[m:Malthusianismus|Malthusianismus]]<!--]-->, [[m:Materialismus (mechanischer)|Materialismus (mechanischer)]], [[m:Mensch-Natur-Verhältnis]], <!--[-->[[m:Menschwerdung|Menschwerdung]]<!--]-->, [[n:nachhaltige Entwicklung]][[n:Natur]]<!--[-->[[n:Naturbeherrschung|Naturbeherrschung]]<!--]--><!--[-->[[n:Naturdialektik|Naturdialektik]]<!--]--><!--[-->[[n:Naturgeschichte|Naturgeschichte]]<!--]-->[[n: Naturverhältnisse, gesellschaftliche|Naturverhältnisse (gesellschaftliche)]]<!--[-->[[n:naturwüchsig|naturwüchsig]]<!--]-->, Nord-Süd-Konflikt, Ökokolonialismus, Ökologie, ökologischer Imperialismus, Periodisierung der Geschichte, Petrosozialismus, Physiokraten, Produktionsweise, Produktivkräfte/Produktionsverhältnisse, Produktivkraftentwicklung, Rassismus, Raubbau, Raum, Reproduktionsbedingungen, Ressourcen, Staatsentstehung, Stadt/Land, Stalinismus, Stoffwechsel, Technikdeterminismus, Umwelt, Wechselwirkung, Weltmarkt, zweite Natur, zweiter Widerspruch des Kapitalismus
  
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m/materialismus_geographischer.txt · Zuletzt geändert: 2024/02/11 12:43 von christian     Nach oben
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