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m:materielle_kultur [2018/03/09 15:44]
flo
m:materielle_kultur [2024/02/11 13:46] (aktuell)
christian
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-In der [[k:Kategorie]] mK kreuzen sich zwei teilweise gegensätzliche [[b:Bedeutung|Bedeutungen]], eine ›selbstverständliche‹ und eine kaum bewusste. Auf den ersten Blick scheint klar, dass »das Reich der geschaffenen Objekte […], das wir bewohnen« (Scarry 1985/1992, 358), oder das »gesamte Lebensinstrumentarium« (Plessner 1961/1964, 7) gemeint ist. Der englischsprachige Wikipedia-Eintrag stört diese Vorstellung, indem er das Gemeinte auf stoffliche Kultur-Indizien einengt, »the physical evidence of a [[k:Kultur|culture]] in the objects and architecture they make, or have made« (10.2.2015). Der Term sei an sich »relevant only in archeological studies«, meine aber »specifically all material evidence which can be attributed to culture, past or present« (ebd.). Die ursprüngliche Selbstverständlichkeit wird dadurch weiter in Frage gestellt, dass der Ausdruck zwar »häufig gebraucht [wird] von den Archäologen, doch keiner von ihnen hat ihn jemals wirklich definiert« (Reichling 2010, 2). Auch nachdem er auf breiter Front in die ehemaligen [[g:Geisteswissenschaften]] eingezogen ist, findet sich »selten […] eine Reflexion der zugrunde liegenden Prämissen« (Hofmann/Schreiber 2014, 179). Das Unbehagen darüber zieht sich wie ein Leitmotiv durch die Literatur.+In der [[k:Kategorie]] mK kreuzen sich zwei teilweise gegensätzliche [[b:Bedeutung|Bedeutungen]], eine ›selbstverständliche‹ und eine kaum bewusste. Auf den ersten Blick scheint klar, dass »das Reich der geschaffenen Objekte […], das wir bewohnen« (Scarry 1985/1992, 358), oder das »gesamte Lebensinstrumentarium« (Plessner 1961/1964, 7) gemeint ist. Der englischsprachige Wikipedia-Eintrag stört diese Vorstellung, indem er das Gemeinte auf stoffliche Kultur-Indizien einengt, »the physical evidence of a culture in the objects and architecture they make, or have made« (10.2.2015). Der Term sei an sich »relevant only in archeological studies«, meine aber »specifically all material evidence which can be attributed to culture, past or present« (ebd.). Die ursprüngliche Selbstverständlichkeit wird dadurch weiter in Frage gestellt, dass der Ausdruck zwar »häufig gebraucht [wird] von den Archäologen, doch keiner von ihnen hat ihn jemals wirklich definiert« (Reichling 2010, 2). Auch nachdem er auf breiter Front in die ehemaligen [[g:Geisteswissenschaften]] eingezogen ist, findet sich »selten […] eine Reflexion der zugrunde liegenden Prämissen« (Hofmann/Schreiber 2014, 179). Das Unbehagen darüber zieht sich wie ein Leitmotiv durch die Literatur.
  
-Aber warum nicht von Kulturmaterialien oder gegenständlicher Kultur reden? So fragend stößt man auf die sedimentierte [[i:Ideologiekritik|Ideologie]] eines rein ideellen (›geistigen‹) Kulturverständnisses. Getragen war sie bis weit ins 20. Jh. hinein von jener gehobenen Schicht, auf die Fritz K. Ringer am deutschen Beispiel die Bezeichnung für die Staatsintellektuellen des chinesischen Kaiserreichs, »Mandarine«, übertragen hat. Im Zentrum steht dabei der [[k:Klassenherrschaft|Klassen-]] und Distinktionssinn der »<!--[-->[[m:Metapher|Metapher]]<!--]--> der //[[b:Bildung]]//« (1969/1983, 9). Deren Affinität zur [[m:Macht]] spricht exemplarisch aus Eduard Sprangers [[i:Ideal]] eines »aus dem Göttlichen stammenden überpersönlichen Lebenszusammenhangs, […] der den Staat rechtfertigt und den die Person frei in sich hineinnehmen muss, wenn sie sich zu einer höheren Stufe geistigen Lebens aufschwingen will« (1928, 22; vgl. Ringer 1969/1983, 115).+Aber warum nicht von Kulturmaterialien oder gegenständlicher Kultur reden? So fragend stößt man auf die sedimentierte [[i:Ideologiekritik|Ideologie]] eines rein ideellen (›geistigen‹) Kulturverständnisses. Getragen war sie bis weit ins 20. Jh. hinein von jener gehobenen Schicht, auf die Fritz K. Ringer am deutschen Beispiel die Bezeichnung für die Staatsintellektuellen des chinesischen Kaiserreichs, »Mandarine«, übertragen hat. Im Zentrum steht dabei der Klassen- und Distinktionssinn der »<!--[-->[[m:Metapher|Metapher]]<!--]--> der //[[b:Bildung]]//« (1969/1983, 9). Deren Affinität zur [[m:Macht]] spricht exemplarisch aus Eduard Sprangers [[i:Ideal]] eines »aus dem Göttlichen stammenden überpersönlichen Lebenszusammenhangs, […] der den Staat rechtfertigt und den die Person frei in sich hineinnehmen muss, wenn sie sich zu einer höheren Stufe geistigen Lebens aufschwingen will« (1928, 22; vgl. Ringer 1969/1983, 115).
  
 In der sedimentierten Ideologie tendiert ›[[m:materiell]]‹ als Gegenteil von ›geistig‹ auf den Gegenpol von Kultur. In der Umgangssprache bedeutet es teils »stofflich, sachlich, körperlich […]; handgreiflich, fassbar; //auch// auf Gewinn eingestellt, genusssüchtig« (//Fremdwörterbuch//, 1960, 379); der //Duden// gibt als sinn- und sachverwandt sogar einzig »habgierig« an (Bd. 8, 2., erw. A., 1986, 444). Sollte demnach, etwa wie bei einem abgeschliffenen Gebrauch des Ausdrucks ›materielle Verhältnisse‹, unter mK »alles erst einmal ausgeklammert« werden, »was an Geistiges, Ideologisches, gar ›Gnostisches‹ (Rubinstein; Leontjew) usw. unmittelbar erinnern würde«, stünde mK für Nicht-Kultur, wie Norbert Schneider (2017) warnt, und ihr [[g:Gegenstand]] wäre ausgelöscht. In der sedimentierten Ideologie tendiert ›[[m:materiell]]‹ als Gegenteil von ›geistig‹ auf den Gegenpol von Kultur. In der Umgangssprache bedeutet es teils »stofflich, sachlich, körperlich […]; handgreiflich, fassbar; //auch// auf Gewinn eingestellt, genusssüchtig« (//Fremdwörterbuch//, 1960, 379); der //Duden// gibt als sinn- und sachverwandt sogar einzig »habgierig« an (Bd. 8, 2., erw. A., 1986, 444). Sollte demnach, etwa wie bei einem abgeschliffenen Gebrauch des Ausdrucks ›materielle Verhältnisse‹, unter mK »alles erst einmal ausgeklammert« werden, »was an Geistiges, Ideologisches, gar ›Gnostisches‹ (Rubinstein; Leontjew) usw. unmittelbar erinnern würde«, stünde mK für Nicht-Kultur, wie Norbert Schneider (2017) warnt, und ihr [[g:Gegenstand]] wäre ausgelöscht.
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 Nicht um die nach allen erdenklichen Seiten auseinanderlaufenden Inhalte der »Material Culture Studies« (vgl. Hicks/Beaudry 2010) kann es im HKWM gehen, sondern vorrangig um die [[b:Begriff|Begrifflichkeit]], die es mit der geschichtsmaterialistischen Theorie [[k:Kohärenz|kohärent]] zu arbeiten gilt. Nicht um die nach allen erdenklichen Seiten auseinanderlaufenden Inhalte der »Material Culture Studies« (vgl. Hicks/Beaudry 2010) kann es im HKWM gehen, sondern vorrangig um die [[b:Begriff|Begrifflichkeit]], die es mit der geschichtsmaterialistischen Theorie [[k:Kohärenz|kohärent]] zu arbeiten gilt.
  
-➫ [[a:Alltag]], [[a:Alltagsforschung]], [[a:Arbeit]], [[b:Basis]], [[b:Bauern]], [[b:Bedeutung]], [[b:Begriff]], [[b:bildende Kunst]], [[e:Eingedenken]], [[e:Ethnologie]], [[f:Fabel]], [[f:Form]], [[g:Gebrauchswert]], [[g:Gegenstand]], [[g:Geistesgeschichte]], [[g:Geisteswissenschaften]], [[h:hochtechnologische Produktionsweise]], [[i:Ideologietheorie]], [[i:immateriell]], [[i:Interpretation]], [[k:kapitalistische Produktionsweise]], [[k:Kategorie]], [[k:Kopf und Hand]], [[k:Kultur]], [[k:Kulturarbeit]], [[k:kultureller Materialismus]], [[k:kulturelle Wende]], [[k:Kulturstudien (Cultural Studies)|Kulturstudien (Cultural Studies)]], [[k:Kunst]], [[l:Lebensweise/Lebensbedingungen]], [[l:Lorianismus]], [[m:Materialästhetik]], [[m:Materialität (historische)|Materialität (historische)]], [[m:Materie]], [[m:materiell]], <!--[-->[[m:Menschwerdung|Menschwerdung]]<!--]-->, Naturgeschichte, Naturvölker, Produktion, Produktionsmittel/Arbeitsmittel, Produktionsverhältnisse, Sinn, sozialistischer Realismus, Sowjetische Gesellschaft, stofflich, Superstruktur, symbolische Ordnung, Tuismus, Überbau, Vergangenheit, Vergegenständlichung, verstehen/erklären, Vorgeschichte, Warenästhetik, Wegwerfgesellschaft, Werkzeug+➫ [[a:Alltag]], [[a:Alltagsforschung]], [[a:Arbeit]], [[b:Basis]], [[b:Bauern]], [[b:Bedeutung]], [[b:Begriff]], [[b:bildende Kunst]], [[e:Eingedenken]], [[e:Ethnologie]], [[f:Fabel]], [[f:Form]], [[g:Gebrauchswert]], [[g:Gegenstand]], [[g:Geistesgeschichte]], [[g:Geisteswissenschaften]], [[h:hochtechnologische Produktionsweise]], [[i:Ideologietheorie]], [[i:immateriell]], [[i:Interpretation]], [[k:kapitalistische Produktionsweise]], [[k:Kategorie]], [[k:Kopf und Hand]], [[k:Kultur]], [[k:Kulturarbeit]], [[k:kultureller Materialismus]], [[k:kulturelle Wende]], [[k:Kulturstudien (Cultural Studies)|Kulturstudien (Cultural Studies)]], [[k:Kunst]], [[l:Lebensweise/Lebensbedingungen|Lebensweise/Lebensbedingungen]], [[l:Lorianismus]], [[m:Materialästhetik]], [[m:Materialität (historische)|Materialität (historische)]], [[m:Materie]], [[m:materiell]], <!--[-->[[m:Menschwerdung|Menschwerdung]]<!--]-->, <!--[-->[[n:Naturgeschichte|Naturgeschichte]]<!--]-->, Produktion, Produktionsmittel/Arbeitsmittel, Produktionsverhältnisse, Sinn, sozialistischer Realismus, Sowjetische Gesellschaft, stofflich, Superstruktur, symbolische Ordnung, Tuismus, Überbau, Vergangenheit, Vergegenständlichung, verstehen/erklären, Vorgeschichte, Warenästhetik, Wegwerfgesellschaft, Werkzeug
  
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m/materielle_kultur.txt · Zuletzt geändert: 2024/02/11 13:46 von christian     Nach oben
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