Camera obscura
A: kāmīra ubskūra. – E: camera obscura. – F: camera obscura. – R: kamera obskura. – S: cámara obscura. – C: zhenkong sheying ji, anxiang 針孔振影机暗箱
Wolfgang Fritz Haug
HKWM 2, 1995, Spalten 431-435
Ideologietheoretische Metapher bei Marx. Eigentlich eine Apparatur aus der Vorgeschichte der Photographie (vgl. Gernsheim 1955), eine umgekehrte Laterna magica, die es erlaubte, reelle – wenngleich seitenverkehrte – Abbilder der »Außenwelt« herzustellen. Die co funktioniert insofern analog zum menschlichen Auge. Der Neukantianer F.A. Lange verweist auf J. Müller, der in seiner Physiologie des Gesichtssinnes (1826) und in seinem Handbuch der Physiologie (2. Bd., 1840) erkenntnistheoretische Fragen daran anschloß, daß »nach optischen Gesetzen die Bilder in Beziehung zu den Objekten verkehrt auf der Netzhaut dargestellt« werden (zit.n. Lange 1875). In der Folge spukt »die belebte Camera obscura« (Nietzsche an Gersdorff, 16.2.1868) bzw. deren »mit Leben und Bewußtsein begabte Platte« (Ueberweg) durch die Grenzgebiete zwischen naturwissenschaftlichem Materialismus und neokantianischem Idealismus und wird zu einem Paradigma, nach dem Bewusstsein gedacht wird. Die Vorstellung von der Wirklichkeit der Dinge außerhalb erscheint von diesem Standpunkt als »fremdartig kolossale Vorstellung« (Lange [1875]).
➫ Abbild, anschauender Materialismus, Bedeutung, Bewußtheit, Bewußtsein, Bild, Erkenntnistheorie, Erscheinung/Erscheinungsform, falsches Bewusstsein, Fetischcharakter der Ware, Herrschaft, Ideologe, Ideologietheorie, Illusion, Imaginäres, Innenwelt/Außenwelt, Kopf und Hand, Metapher, Neukantianismus, oben/unten, objektive Gedankenform, Religionskritik, Schein, Selbstverwaltung, Sprache, symptomale Lektüre, Unbewußtes, Verdinglichung, Verkehrung