Bodenreform
A: iṣlāḥ zirā‛ī. – E: land reform. – F: réforme agraire. – R: zemel'naja reforma. – S: reforma agraria. – C: tudi gaige
Helmut Arnold
HKWM 2, 1995, Spalten 275-279
Die B zielt auf grundlegend neue Eigentums- und Nutzungsverhältnisse an Grund und Boden in Stadt und Land. Der gesellschaftliche Umgang mit Böden ist in allen historischen Epochen eine wesentliche politische, soziale und produktionstechnische Herausforderung und Konfliktlinie. Sie ergibt sich aus der Bedeutung von Grund und Boden (als Regulator im Natur-, insbesondere Stoffhaushalt, als Produktionsmittel, Rohstoff, Baugrund) und seiner permanenten Gefährdung durch Vergiftung, Raubbau und Spekulation. Geschichtliche Epochen lassen sich mit Hilfe der jeweiligen Bodeneigentums- und Nutzungsbestimmungen bzw. durch die Auseinandersetzungen um sie kennzeichnen.
Marx und Engels entwickelten ihr Verständnis der Bodenfrage v.a. aus der Kritik physiokratischer (z.B. Turgot und Quesnay) und bürgerlicher Positionen (wie von Petty, Smith, Ricardo oder Rodbertus); in der historischen Analyse des Grundeigentums bei der Entwicklung der Kapitalverhältnisse (…); in der Ausformulierung der Grundrententheorie als Teil der Mehrwerttheorie (…) sowie in konkreten politischen Studien (wie etwa Engels' Lage). Zusammenfassend meinte Marx: »Das Eigentum an Grund und Boden […], diese ursprüngliche Quelle allen Reichtums, ist das große Problem geworden, von dessen Lösung die Zukunft der Arbeiterklasse abhängt.« (…). Der Begriff B findet sich allerdings weder im Text der Klassiker noch im Sach- und Titelregister der bisherigen Textausgaben. Inhaltlich jedoch sahen Marx und Engels die radikale Umwälzung privater Nutzungs- und Verfügungsrechte stets als notwendigen Teil grundsätzlicher sozialistischer Gesellschaftsveränderungen an. Sie stellten sich somit auch grundsätzlich in die Tradition radikaler Bodenreformer wie z.B. Thomas Morus oder Gracchus Babeuf. »Vom Standpunkt einer höhern ökonomischen Gesellschaftsformation wird das Privateigentum einzelner Individuen am Erdball ganz so abgeschmackt erscheinen wie das Privateigentum eines Menschen an einem andern Menschen. Selbst eine ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle gleichzeitigen Gesellschaften zusammengenommen, sind nicht Eigentümer der Erde. Sie sind nur ihre Besitzer, ihre Nutznießer, und haben sie als boni patres familias den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen.« (K III)
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