Linkskommunismus
A: šuyūʽīya al-yasārīya. – E: left communism. – F: communisme de gauche. – R: levyj kommunizm. – S: comunismo de izquierda. – C: zuǒpài gòngchǎn zhǔyì 左派共产主义
Marcel Bois
HKWM 8/II, 2015, Spalten 1180-1193
Die Oktoberrevolution, die die Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte 1917 in Russland an die Macht gebracht hatte, »wurde überall als welterschütterndes Ereignis empfunden« (Hobsbawm 1994/2002, 91). Die regierenden Bolschewiki hatten sich zum Ziel gesetzt, eine sozialistische Gesellschaft zu errichten – ohne Armut, Hunger und Unterdrückung. Nur ein Jahrzehnt später hatte sich dieses Projekt jedoch in sein Gegenteil verkehrt: Arbeiter wurden ausgebeutet, Andersdenkende in Arbeitslager gesteckt, dissidente Kommunisten politisch verfolgt. Der Staat, der aus der Revolution hervorgegangen war, nannte sich zwar »Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken« (UdSSR), doch die einzelnen Teilstaaten waren Ende der 1920er Jahre weder sozialistisch noch Räterepubliken und auch von einer Union, also einem freiwilligen und gleichberechtigten Zusammenschluss, konnte keine Rede sein. Stattdessen entwickelte sich zunehmend eine Ein-Parteien-Herrschaft mit Stalin und seiner Gefolgschaft an der Spitze. Die kommunistischen Parteien des Auslands gerieten in deren Abhängigkeit und entfernten sich von ihren ursprünglichen Idealen.
Schon früh setzten sich Kommunisten aus verschiedenen Ländern gegen diese Entwicklung zur Wehr. Einige von ihnen wurden Linkskommunisten genannt oder bezeichneten sich selbst so. Diese kritisierten den Aufstieg des Stalinismus in der SU ebenso wie die Stalinisierung der KPn und den damit einhergehenden Abbau innerparteilicher Demokratie. Der L stand also für einen alternativen, von Moskau unabhängigen Weg. Doch lassen sich nur wenige Merkmale benennen, die alle Linkskommunisten einten. Es handelt sich beim L vielmehr um eine heterogene Strömung mit engen inhaltlichen und personellen Überschneidungen zum Rätekommunismus, zum Syndikalismus oder auch zum Trotzkismus. Nicht selten werden Vertreter des L auch als »Ultralinke« oder »Linksradikale« bezeichnet.
Die bekanntesten Akteure des L waren der Italiener Amadeo Bordiga, der Österreicher Kurt Landau, die Niederländer Herman Gorter und Anton Pannekoek sowie Ruth Fischer, Iwan Katz, Karl Korsch, Arkadij Maslow, Franz Pfemfert, Hugo Urbahns, Werner Scholem und Ernst Schwarz aus Deutschland. Auch die sowjetischen Oppositionellen Lew Kamenew, Karl Radek, Grigori Sinowjew und Leo Trotzki gehörten im weitesten Sinne zu dieser Strömung. Am stärksten ausgeprägt war der deutsche L.
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