Lacanismus

A: lākānīya. – E: Lacanianism. – F: lacanisme. - R: lakanizm. – S: lacanismo. – C: lakangzhuyi 拉康主义

Tove Soiland (I.), Frank Jablonka (II.)

HKWM 8/I, 2012, Spalten 559-594

I. Einer in der Tradition marxistischer Gesellschaftstheorie stehenden Auseinandersetzung mit Jacques Lacan stellt sich im deutschsprachigen Raum eine spezifische Herausforderung. Sein Werk galt hier als Wegbereiter des linguistic turn, der schließlich zu jener kulturalistischen Wende des Postmarxismus mit all seinen Konsequenzen führte: der Diskreditierung der Grundannahmen des historischen Materialismus als ›essenzialistisch‹ und in der Folge deren weitgehende Preisgabe. Vergleicht man diese Einschätzung, die hier zur weitgehenden Aufgabe der Lacan-Rezeption im Rahmen gesellschaftstheoretischer Überlegungen geführt hat, mit der internationalen Rezeption, lässt sich feststellen, dass gerade in diesem Umkreis gegenwärtig die inhaltlich fundierteste Kritik an dieser kulturalistisch-diskursiven Wende formuliert wird. Von der hierfür wegweisenden Ljubljana School of Psychoanalysis wird nicht nur der Lesart Lacans als einer weiteren Version von ›Diskursanalyse‹ widersprochen, sondern bes. dessen Inkompatibilität mit postmarxistischen Ansätzen wie beispielsweise der Hegemonietheorie Ernesto Laclaus betont. Die Frage, welche Anschlüsse an Lacans Denken diese spezifische Verbindung einer Relektüre von Marx mit einer Lacan-Rezeption erlaubten, wie sie ursprünglich von der Schule von Ljubljana angeregt wurde, muss deshalb im Zentrum einer auf die Gegenwart bezogenen Auseinandersetzung mit Lacan stehen.

Ausgangspunkt dieser Verknüpfung von L und Marxismus ist eine von Lacan selbst angeregte Interpretation der Ereignisse von 1968. In der Perspektive seines Subjektverständnisses erscheinen die im Zuge der Studentenunruhen erstrittenen Liberalisierungen und die sich daran anschließende ›postmoderne Wende‹, die weite Teile linker Theoriebildung erfasste, weniger als emanzipatorische Errungenschaften denn als Ausdruck von Veränderungen in den ideologischen Strukturen selbst. Das veränderte Ideologieverständnis, das sich daran anschließt, macht geltend, dass diese postmoderne Wende nicht lediglich vom Kapitalismus integriert wurde, sondern von Beginn an Teil von dessen im Zuge der Fordismuskrise notwendig gewordenen Selbsterneuerung war.

II. Wenn der Hauptvertreter der Lacan-Schule von Ljubljana, Slavoj Žižek, von dem in der westlichen Wissenschaft umgehenden »Gespenst des cartesianischen Subjekts« spricht (2001), spielt er auf einen gewichtigen Unterschied zwischen der sich auf Lacan gründenden sprachphilosophischen Wendung der Bewusstseinszentriertheit und der auf Ludwig Wittgenstein zurückgehenden angloamerikanischen Version des linguistic turn an: während diese mit der abendländischen Bewusstseinsphilosophie brechen will, geht es jener darum, das cogito wieder zu befähigen, seine exzessiv-widerständige Rückseite geltend zu machen. Wie in der Psychoanalyse spielt zwar bei Wittgenstein der »Therapie«-Aspekt (PhU, Nr. 133) eine Rolle, jedoch vorwiegend metaphorisch, insofern er den Philosophen von ihn »peitschenden« Problemen (ebd.) wie von einer »Krankheit« (255) befreien will. Dies soll durch die Aufklärung des diesen Problemen zu Grunde liegenden falschen Sprachgebrauchs und dessen Zurückführung auf die alltagssprachlichen Konventionen geschehen. Bei Lacan hingegen ist die Alltagssprache bereits in sich problematisch und in psychotherapeutischer Hinsicht zugleich problemund therapierelevant, was den Auslöser für Lacans sprachphilosophische Reflexionen abgab.

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