Dritte Welt
A: al-‛ālam al-thālith. – E: Third world. – F: Tiers-monde. – R: Tretij mir. – S: Tercer mundo. – C: di san shijie
Pablo González Casanova (WFH, NB) (I.), Frigga Haug (II.)
HKWM 2, 1995, Spalten 834-843
I. Das Schlagwort »DW« unterliegt unterschiedlichsten Definitionen und Verwendungsweisen und wird daher von vielen aus ideologischen und wissenschaftlichen Gründen abgelehnt. Sein Gebrauch wird zuweilen ausdrücklich erläutert, zuweilen wird er in Ermangelung eines besseren übernommen – oder aus bloßer Gewohnheit und um die Verständigung in akademischen und politischen Kreisen zu erleichtern.
Nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt, erwies sich der Term DW seither als mehrdeutig und vielschichtig. Er bildet eine Schnittmenge von Bedeutungen, die es erlauben, auf ein und dasselbe vage bestimmte Phänomen anzuspielen. Eine erste Bedeutungsdimension ergab sich im politischen Bereich infolge der Konferenz von Jalta (1945) und den Absprachen zwischen der »Westlichen«, »freien« oder »kapitalistischen Welt« und den »sozialistischen Ländern« über eine Abgrenzung der jeweiligen Einflußsphären. Die Idee, daß es außer diesen beiden Blöcken einen dritten gebe, der für eine unabhängige und eigenständige Entwicklung kämpft, machte sich 1955 auf der Bandung-Konferenz geltend, an der im wesentlichen asiatische sowie einige afrikanische Länder teilnahmen. Auf dieser Konferenz schien man sich klar darüber zu werden, daß zum Kampf zwischen den beiden Blöcken und zwischen Kapitalismus und Sozialismus ein dritter hinzukam: für die Unabhängigkeit und gegen den Kolonialismus bzw. gegen die Einmischung der Großmächte in die inneren Angelegenheiten der Staaten oder in ihre Territorien. Weitere Kämpfe kamen hinzu: für die Gleichberechtigung der Nationen und für die friedliche Koexistenz. […]
Anfang der 1960er Jahre wurde die Krise des [staatskapitalistischen] Akkumulationsmodells und des popular-nationalistischen Projekts offenkundig. Seitdem hat sich die Kritik am »Nationalismus« der Blockfreien auch gegen den Begriff der DW gewandt.
II. Gegen Ende der 1970er Jahre wird im »Bielefelder Ansatz« (vornehmlich Maria Mies, Veronika Bennholdt-Thomsen und Claudia von Werlhoff) eine Parallelisierung zwischen der Ausbeutung/Unterdrückung der Dritten Welt und derjenigen der Frauen in der ersten Welt globaltheoretisch zu begründen versucht. Ausgangspunkt sind ihre Erfahrungen in der Dritten Welt, die sie dazu brachten, in die damalige Diskussion um Produktionsweisen (Cordova, Amin, Rey, Terray, Mandel, Meillasoux u.a.), die als heterogen, verflochten, ungleichzeitig bestimmt werden, einzugreifen.
➫ Akkumulation, Frauenbewegung, Familienarbeit/Hausarbeit, Hausarbeitsdebatte, Hausfrauisierung, Imperialismus, internationale Arbeitsteilung, Produktionsweise, Reichtum, Reproduktion, Subsistenzproduktion, transnationale Konzerne, vorkapitalistische Produktionsweisen