Illusion
A: al-wahm. – E: illusion. – F: illusion. – R: illjuzija. – S: ilusión. – C: huanxiang 幻想
Inez Hedges (JR)
HKWM 6/I, 2004, Spalten 779-787
Parmenides lässt in seinem Lehrgedicht die Göttin Dike (Recht) zwei verschiedene Wege des Wissens enthüllen, den »der wohlgerundeten Wahrheit« (ἀληθείης εὐκυκλέος) und den der »Meinungen (δόξας), denen nicht innewohnt wahre Gewissheit« (DK). Entsprechend lässt sich die Doxa (aus δοκέω, ›meinen, scheinen‹) als terminologische Vorläuferin der I auffassen. Die lateinische illusio stellt die Verbindung zum Bedeutungsfeld von ›spielen‹ her: illudere enthält ludere (spielen) und bedeutet zunächst ›etwas spielend (mit Leichtigkeit) hinwerfen‹ und von dort aus ›mit jemandem sein Spiel treiben‹, ›spotten‹, ›täuschen‹. Ludius ist der Possenreißer, der die anderen zum Narren hält; illusor der Spötter und illusio sowohl die Verspottung als auch die Täuschung. Dass diese zweite Bedeutung sich im allgemeinen Sprachgebrauch durchgesetzt hat, ist v.a. der Frontstellung des Rationalismus gegen die Sinnestäuschungen geschuldet. In der antiken Doppelbedeutung benutzt z.B. Pierre Bourdieu den Begriff, wenn er die illusio dahingehend definiert, dass man im gesellschaftlichen Spiel »befangen und gefangen« ist, nämlich im Sinne einer »stillschweigenden Anerkennung des Wertes der Interessenobjekte, die in ihm auf dem Spiel stehen« (Bourdieu/Wacquant 1996). Der junge Marx verfolgt zunächst ein Desillusionierungsprojekt ausgehend von dem Gedanken, »dass die Welt längst den Traum von einer Sache besitzt, von der sie nur das Bewusstsein besitzen muss, um sie wirklich zu besitzen« (…), eine Position, die er ein Jahr später zusammen mit Engels den »Phantasien […] der neuern junghegelschen Philosophie« zurechnen und in die praxisorientierte Gesellschaftswissenschaft des historischen Materialismus übersetzen wird.
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