Diskursanalyse

A: taḥlīl al-baḥth. – E: discourse analysis. – F: analyse de discours. – R: diskursivnyj analiz. – S: análisis deI discurso. – C: shang tan fenxi

Thomas Laugstien

HKWM 2, 1995, Spalten 727-743

Als »Diskurs« bezeichnet man in der rhetorischen Tradition das Durchlaufen (lat. discurrere) verschiedener Argumentationsfiguren (exordium, narratio, argumentatio, refutatio), die dem Reden in der Öffentlichkeit Verbindlichkeit und Kohärenz sichern sollen. In der neuzeitlichen Philosophie taucht der Discours de la méthode bei Descartes als ein System von Aussagen (Konsequenzen aus Täuschungserfahrungen) und Regeln auf, die das Hervorbringen wahrheitsfähiger Feststellungen erlauben sollen. Auch Jürgen Habermas begreift den »Diskurs« in diesem Sinne als eine Produktionsanordnung für wahrheitsfähige Aussagen, die er mit sprachanalytischen Mitteln neu zu begründen versucht. Dieser Diskursbegriff rückt das Sprechen also in ein normatives Licht im Blick auf Wahrheitsfähigkeit.

Die verschiedenen Methoden der DA etablieren demgegenüber eine kritische Perspektive, in der die impliziten, unthematischen oder verschwiegenen, sprachlichen oder institutionellen Voraussetzungen zum Gegenstand werden, die aus Äußerungen einen »Diskurs« machen – d.h. eine komplex strukturierte Matrix zur Generierung solcher Sprachhandlungen, die Wahrheit beanspruchen oder Zustimmung hervorrufen bzw. Konsens stiften, indem sie bestimmte Erkenntnisobjekte konstituieren, durch deren Anerkennung sich zugleich die »Subjekte« des Diskurses identifizieren. Das Spektrum der Betrachtung reicht von der linguistischen Analyse sprachlicher Kodes über die psychoanalytische Frage nach der Konstitution des Subjekts bis zu Foucaults Frage, »wie in den abendländischen Gesellschaften die Produktion von Diskursen, die (zumindest für eine bestimmte Zeit) mit einem Wahrheitswert geladen sind, an die unterschiedlichen Machtmechanismen und -institutionen gebunden« sind (1977).

Gemeinsam ist all diesen Herangehensweisen die Wendung »gegen einen religiösen Mythos des Lesens«, wie es die Althusser-Schule nannte, »also gegen die Hermeneutik im philosophischen Sinne des Wortes« (Pecheux 1982), die zur »hermeneutischen Unterstellung« (Haug 1992) unter die dem Text unterstellte Wahrheit anhält. Das Unterstellungsverhältnis von Wahrheit und Methode (Gadamer 1962), das die philosophische Hermeneutik verfügt, wird damit praktisch umgewälzt, indem Wahrheit sich als Diskurseffekt zeigt.

Althusser-Schule, Artikulation, Gliederung, Ausdruck, Bedeutung, Determinismus, Diskurstheorie, Dispositiv, eingreifendes Denken, Epistemologie, Hermeneutik, Ideologietheorie, Literaturkritik, Materialästhetik, Methode, Ökonomismus, Phrase, Postmarxismus, Rhetorik, Semiotik, Sprache, Subjekt-Effekt, symptomale Lektüre, Text, Wahrheit, Zeichen

artikel_per_email.jpg

 
InkriT Spende/Donate     Kontakt und Impressum: Berliner Institut für kritische Theorie e.V., c/o Tuguntke, Rotdornweg 7, 12205 Berlin
d/diskursanalyse.txt · Zuletzt geändert: 2024/02/04 14:05 von christian     Nach oben
Recent changes RSS feed Powered by PHP Valid XHTML 1.0 Valid CSS Driven by DokuWiki Design by Chirripó