Demokratie/Diktatur des Proletariats

A: dīmuqrāṭīya / dīktātürīya brūlītārīya. – E: democracy/dictatorship of the proletariat. – F: démocracie/dictature du prolétariat. – R: demokratija/diktatura proletariata. – S: democracia / dictadura del proletariado. – C: minzhu/wuchan jieji zhuanzheng

Uwe-Jens Heuer

HKWM 2, 1995, Spalten 534-551

In den 90er Jahren des 19. Jh. vollziehen sich tiefgreifende ökonomische und politische Veränderungen, die später als Entwicklung zum Imperialismus charakterisiert werden. Die politischen Erfolge der Arbeiterbewegung in Deutschland, der Wegfall der Bedrohung durch Ausnahmegesetze einerseits, die Veränderungen in der Gesellschaftsstruktur, die Entwicklung zum Imperialismus andererseits zwingen die Arbeiterbewegung, zwingen ihre Theoretiker zum Neudurchdenken ihres Verhältnisses zum bürgerlichen Staat, zur D. Mit dem Tode von Friedrich Engels 1895, der unbestrittenen Autorität, kommt die Gegensätzlichkeit der Standpunkte in der deutschen sozialdemokratischen Partei schnell zum Ausbruch.

Eingeleitet wird die Diskussion durch eine 1896 von Eduard Bernstein in der »Neuen Zeit« begonnene Artikelserie Probleme des Sozialismus. Eigenes und Übersetztes. Bernstein leitet in diesen Artikeln und in seiner 1899 veröffentlichten Schrift Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie aus neuen Entwicklungen ein ganzes Arsenal gegen die bisherige Grundposition gerichteter Schlußfolgerungen ab. Er wendet sich dabei vornehmlich gegen die von Kautsky vertretene Auffassung, daß die ökonomische Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft mit Naturnotwendigkeit zum Untergang des Kleinbetriebes, zu seiner Verdrängung durch kolossale Großbetriebe, zur wachsenden Existenzunsicherheit und damit zu einem immer erbitterteren Klassenkampf führe. Daraus wurde zwingend die Notwendigkeit des Kampfes der Arbeiterklasse um die politische Macht abgeleitet. Diese Auffassung war Grundlage des Erfurter Programms von 1891 gewesen.

In einer Zuschrift an den Stuttgarter Parteitag vom Oktober 1898 wendet sich Bernstein gegen die Anschauung, »daß wir vor einem in Bälde zu erwartenden Zusammenbruch der bürgerlichen Gesellschaft stehen und daß die Sozialdemokratie ihre Taktik durch die Aussicht auf eine solche bevorstehende große soziale Katastrophe bestimmen […] soll« (1899). Während die Naturnotwendigkeit des Untergangs des Kleinbetriebes in Abrede gestellt wird, geht Bernstein auf der anderen Seite von einer ständigen Entfaltung der D aus. D heißt für ihn »jedesmal soviel Herrschaft der Arbeiterklasse, als diese nach ihrer intellektuellen Reife und dem Höhengrad der wirtschaftlichen Entwicklung überhaupt auszuüben fähig ist« (…). Bernstein wendet sich gegen den Kultus der Gewalt und gegen die Phrase von der DP. D ist für ihn ein Gesellschaftszustand, »wo keiner Klasse ein politisches Privilegium gegenüber der Gesamtheit zusteht«. Sie »ist das Mittel der Erkämpfung des Sozialismus, und sie ist die Form der Verwirklichung des Sozialismus«, sie »ist prinzipiell die Aufhebung der Klassenherrschaft, wenn sie auch noch nicht die faktische Aufhebung der Klassen ist« (…). Bernstein ging offenbar davon aus, daß aufgrund der Abschwächung der ökonomischen Widersprüche die Auseinandersetzung im Rahmen der bestehenden politischen Ordnung der einzig mögliche, zugleich aber auch der einzig erfolgversprechende Weg sei. […] Die eigentliche Auseinandersetzung auf dem Felde der D-Theorie führt die einer anderen Generation als Bernstein und Kautsky angehörende Rosa Luxemburg in ihrer Broschüre Sozialreform oder Revolution (1899). […] Für Luxemburg ist D letztlich die Selbstbestimmung des Proletariats.

Abbau des Staates, Abendroth-Schule, Absterben des Staates, Arbeiterstaat, Bedürfnis, bürgerliche Gesellschaft, Bürokratie, demokratischer Sozialismus, despotischer Sozialismus, Diktatur des Proletariats, dritter Weg, Elite, Gewaltenteilung, Glasnost, Hegemonie, Herrschaft, integraler Staat, Legalität/Legitimität, Marxismus-Leninismus, Neue Ökonomische Politik, Öffentlichkeit, Parlamentarismus, Perestrojka, Rätekommunismus, Recht, Revisionismus, Selbstverwaltung, Staat, Stellungskrieg/Bewegungskrieg, Zivilgesellschaft

artikel_per_email.jpg

 
InkriT Spende/Donate     Kontakt und Impressum: Berliner Institut für kritische Theorie e.V., c/o Tuguntke, Rotdornweg 7, 12205 Berlin
d/demokratie_diktatur_des_proletariats.txt · Zuletzt geändert: 2015/05/07 12:57 von korrektur     Nach oben
Recent changes RSS feed Powered by PHP Valid XHTML 1.0 Valid CSS Driven by DokuWiki Design by Chirripó