Denken

A: fikr, tafkīr, tafakkur. – E: thought. – F: pensée. – R: mysl'. – S: pensamiento. – C: siwei

Rainer Seidel

HKWM 2, 1995, Spalten 580-589

Das Wort D (bzw. Gedanke), das zum ältesten Bestand der deutschen Sprache gehört, hat im Althochdeutschen eine umfassende Bedeutung: gidank bezeichnet (wie auch das griechische νοῦς) »das gesamte denkende, wissende und empfindende Selbst« (Trübners Deutsches Wörterbuch, Stichwort »Gedanke«), was sich z.B. in Wortbildungen wie Dank oder Andacht zeigt. Das trifft auch für den heutigen Bedeutungshorizont des Wortes D zu. Es oszilliert zwischen einem personalen, emotional beteiligten Innesein (denken-an) und einem zweckrationalen, quasi rechnenden Problemlösen.

Am Anfang der neuzeitlichen Philosophie steht das cogito (Ich denke) des Descartes. Diesem schwebt eine wunderbare Wissenschaft vor, eine mathesis universalis, die die Welt nach Maß und Zahl erfaßt und sie damit beherrschbar macht. Schon in seiner Frühschrift, den Regeln zur Ausrichtung der Erkenntniskraft (1628/29), konzipiert er das methodische, regelgeleitete D, das die Welt nach Problemen strukturiert, die schrittweise präzisiert und letztlich mathematisch gelöst werden können. Die tradierte und bis in die heutige Zeit verbreitete Auffassung, daß das D in enger Verbindung mit der (formalen) Logik stehe, fügt sich hier ein (ungeachtet dessen, daß Descartes die ihm vorliegende scholastische Logik als steril ansah; Discours de la methode, 1637, 2.6). Die neue Wissenschaft konnte von Descartes nur unter der Annahme zweier im Wesen getrennter Substanzen konzipiert werden: res cogitans, Geist oder D, und res extensa, die durch ihre Ausgedehntheit charakterisierbare Materie, wobei er die letztere, mithin die Natur, da sie bewusstlos und streng gesetzlich determiniert ist, nach dem Paradigma der Maschine (v.a. des Uhrwerks) auffasst. […]

Nach der von Marx und Engels vollzogenen Wende von Feuerbachs anthropologischem Materialismus zu einer historischen Wissenschaft stellt sich nunmehr das Problem, das D aus der Tätigkeit, d.h. der Umgestaltung der Natur zu begreifen. D ist in dieser Sicht nicht schlicht ein Prozess der durch die Natur determinierten Erkenntnis, sondern sowohl Voraussetzung als auch Produkt der Arbeit.

Abbild, abstrakt/konkret, Analyse/Synthese, anschauender Materialismus, Antizipation, Arbeit, Arbeitsteilung, Artikulation/Gliederung, Bedeutung, Begriff, Bewußtsein, Determinismus, Dialektik, eingreifendes Denken, Epistemologie, Erkenntnistheorie, funktional-historische Analyse, Genesis, Kooperation, Kritische Psychologie, Kulturhistorische Schule, Materialismus (mechanischer), Methode, Problematik, Sprache, Subjekt, Tätigkeit, Technik, Unbewusstes, Utopie, Vergegenständlichung, Wechselwirkung, Widerspiegelung, Widerspruch, Wissenschaft, Zeichen

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