Kategorie
A: maqūlah. – E: category. – F: catégorie. – R: kategorija. – S: categoría. – C: fanchou 范畴
Wolfgang Fritz Haug
HKWM 7/I, 2008, Spalten 467-486
In philosophischer Terminologie bezeichnet der Ausdruck ›K.n‹ der von Aristoteles begründeten Tradition gemäß zumeist »die Prädikamente« oder »allgemeinsten Gattungsbegriffe« (Bloch 1985). K.n in diesem Sinn bilden die Grundformen gedanklicher Weltaneignung, sprachlich artikulierte Konstitutionsformen von ›Wirklichkeit‹. Im vorherrschenden Gebrauch verschwimmt der Unterschied zwischen K.n und Begriffen. Die meisten Marxisten folgen Aristoteles darin. Sie verkennen den von Hegel vorgeprägten starken Erkenntnissinn, den Marx mit dem Ausdruck ›Begriff‹ verbindet, was im Deutschen durch seine umgangssprachliche Einbettung im Sinne des konkreten Begreifens fundiert wird. Stattdessen grassiert ein abgeschliffener Gebrauch: »In zahllosen Schriften kann man den Ausdruck ›Begriff‹ durch ›Vorstellung‹ oder ›Bezeichnung‹ ersetzen, ohne dass der Text darunter die mindeste Einbuße erleidet.« (Zardoya Loureda 2000) Kants Bestimmung der K.n als »Urbegriffe« oder »Stammbegriffe des reinen Verstandes« (KrV) hallt nach in dem verbreiteten Sprachgebrauch, für den die ›Grundbegriffe‹ irgendeiner Theorie oder Wissenschaft deren ›K.n‹ heißen. Erkenntnistheoretische Begriffe, in denen es um Widerspiegelung des Seins im Denken geht, werden von Lucien Sève in einem ausgezeichneten Sinn K.n genannt (1980). In einem weiteren Sinn bezeichnet ›K‹ oftmals die einzelnen Mengen klassifikatorischer Ordnungen, etwa die Arten innerhalb einer Gattung oder »Handelsklassen« einer Warenart.
Bei Marx begegnen unterschiedliche Gebrauchsweisen. Unter ihnen ragt jedoch eine markant hervor. Sie weicht vom vorgefundenen Sprachgebrauch auf eine entscheidende Weise ab: Marx bringt seine Kritik der bürgerlichen Ökonomen auf die Formel, dass diese sich ihre K.n »ohne weitere Kritik« vom kapitalistischen »Alltagsleben« vorgeben lassen (…). Die Tragweite dieser These wird deutlicher im Lichte zweier weiterer Einsichten: Marx begreift die ökonomischen K.n als Ausdruck gesellschaftlicher »Daseinsformen« (…), in denen sich wiederum die strukturellen Verkehrungen der kapitalistischen Gesellschaft präsentieren. K.n werden in K I »in aller wünschenswerten Deutlichkeit als ›objektive Gedankenformen‹ bezeichnet« (Reichelt 2002). Sie sind »objektiv«, weil in die gesellschaftlichen Verhältnisse eingelassen; und sie wirken aufs Subjekt, weil sie »Praxisformen« sind (Haug 1974/2005). Eine dieser grundlegenden K.n der bürgerlichen Gesellschaft ist der Lohn. Marx arbeitet diese K in einen Formbegriff um. Er zeigt, dass die historisch-gesellschaftliche Form Lohn »das wirkliche Verhältnis unsichtbar macht und grade sein Gegenteil zeigt« (…). Von derartigen Formen, die sich allesamt als »Wertformen« begreifen lassen, sagt Marx: sie »bilden eben die K.n der bürgerlichen Ökonomie« (…). Eine dieser kategorial existierenden Wertformen ist »das Kapital selbst, dessen abstraktes Gegenbild sein Begriff« (…). Ein wissenschaftlicher Begriff im marxschen Sinn muss diese Verkehrungen und damit den wirklichen Zusammenhang kritisch durchdringen. Ökonomische K.n und die theoretischen Begriffe ihrer Kritik gehören demnach auf unterschiedliche Ebenen. Die eine Ebene ist »das Realsystem politische Ökonomie als ein Ganzes ökonomischer K.n« (Hoff 2006), die andere die begriffliche Darstellung dieses Ganzen, ein Unterschied, der im Marxismus erstaunlich wenig berücksichtigt worden ist.
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