Anfang

A: badʿ, bidāya. – E: beginning. – F: commencement. – R: načalo. – S: comienzo, principio. – C: kaiduan, kaishi

Gunter Willing

HKWM 1, 1994, Spalten 262-271

»Aller Anfang ist schwer, gilt in jeder Wissenschaft.« So warnt Marx im Vorwort zu K I. Das bringt zwei ganz unterschiedliche Schwierigkeiten zusammen: die der Lektüre (»Das Verständnis des ersten Kapitels, namentlich des Abschnitts, der die Analyse der Ware enthält, wird daher die meiste Schwierigkeit machen«) und die der Forschung (obwohl die Wertform »sehr inhaltslos und einfach« ist, »hat der Menschengeist sie seit mehr als 2000 Jahren vergeblich zu ergründen versucht«). Auf die erste Schwierigkeit antwortete bereits Marx mit dem Lesevorschlag, den Anfang zunächst zu übergehen und mit dem 8. Kapitel zu beginnen (vgl. Brief an Kugelmann, 30. Nov. 1867).

Louis Althusser gab die »mit allem Respekt imperative Empfehlung«, mit Kap. 4 zu beginnen (1969/1973). Zugleich gab er eine Deutung der Schwierigkeiten des A, die diejenige der Forschung und die der Lektüre verknüpfte: Marx sei 1867 noch »in einer Hegelschen Wissenschaftsauffassung befangen« gewesen (»für Hegel gilt nur die Philosophie als Wissenschaft, und unter diesem Anspruch muß jede wahre Wissenschaft ihren eigenen Anfang begründen«; …). Althussers Kritik mündete in den Vorschlag, das Kapital neu zu schreiben, so daß der A einfach und verständlich würde (»qu’on re-ecrive la section I du Capital, de facon qu’elle devienne un ›commencement‹ qui ne soit plus du tout ›ardu‹, mais simple et facile«; …). Als Ausgangspunkt dachte er sich den marxschen Satz aus dem Brief an Kugelmann vom 11.7.1868: »Daß jede Nation verrecken würde, die, ich will nicht sagen für ein Jahr, sondern nur für ein paar Wochen die Arbeit einstellte, weiß jedes Kind.« Das richtete sich gegen den Rezensenten des Centralblatts, der bemängelt hatte, Marx habe ›den Wertbegriff nicht bewiesen‹. Althusser übersah, daß die eigentliche Schwierigkeit im anschließenden Satz von Marx angedeutet wurde: »Die Wissenschaft besteht eben darin, zu entwickeln, wie das Wertgesetz sich durchsetzt.« Auch wenn jedes Kind die Notwendigkeit der Arbeit begreifen kann, so ist doch auch die Allokation der Arbeit lebensnotwendig, und diese sowie die mit ihr verbundenen Mechanismen der Ökonomie begreift nicht nur »jedes Kind« nicht, sondern auch der erwachsene Alltagsverstand nicht ohne Wissenschaft.

»Wollte man also von vornherein alle dem Gesetz scheinbar widersprechenden Phänomene ›erklären‹, so müßte man die Wissenschaft vor der Wissenschaft liefern.« (MEW 32) Genau dies macht das Problem des A für die Darstellung aus: daß er ohne den Versuch, die Wissenschaft vor der Wissenschaft zu liefern, auskommen und ebenso nachvollziehbar wie verbindlich in sie hineinführen muß. Dieses Darstellungsproblem ist verknüpft mit dem Aufbau der Sache selbst. A ist eine Funktion des Aufbaus.

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