Geburtenkontrolle

A: al-ḥadd min an-nasl. – E: birth control. – F: contrôle des naissances. – R: kontrol’ za roždaemost’. – S: control de natalidad. – C: jihua shengyu 计划生育

Martha E. Gimenez (IL) (I.), Frigga Haug (II.), Kathy Rudy (FH) (III.)

HKWM 4, 1999, Spalten 1298-1318

I. Bevölkerungspolitik. – G war bereits Praxis, bevor der Begriff Anfang des 20. Jh. als politisches Schlagwort auftauchte. Als Margret Sanger mit dem Begriff 1915 eine sozialistische und feministische Forderung artikulierte (Gordon 1977), war dies eine radikale politische Provokation. Die Kämpfe um das Recht auf Abtreibung (in Deutschland um den §218) fanden in den 20er Jahren einen ersten Höhepunkt. Inzwischen ist G eine selbstverständliche technische Möglichkeit, doch die Problematik bleibt umstritten zwischen reproduktiver Selbstbestimmung, ökologischer Nachhaltigkeit und herrschaftlicher Kontrolle.

II. Abtreibungskampagnen. – In allen bürgerlichen Staaten, zuletzt in der Schweiz, haben Frauen im Laufe des 20. Jh. gleiche Bürgerrechte wie Männer erhalten. Wenn in diesen Staaten der Abbruch einer Schwangerschaft unter Strafe gestellt wird, ergibt sich die paradoxe Situation, dass Frauen in Bezug auf ihre Fortpflanzungsorgane der Bürgerstatus aberkannt ist. Das Eigentum am eigenen Körper, das allererst den männlichen Bürger auszeichnet und sich von dort erstreckt auf alles, worauf ›er die Hand legt‹ (Locke), gilt in dieser Hinsicht nicht für Frauen. Diese historische Ungleichzeitigkeit bestimmt die Kämpfe um den Abtreibungsparagraphen in aller Welt und führte aus den Reihen der Abtreibungsgegner, die zur Bewegung zum Schutz ungeborenen Lebens anwuchsen, zu grotesken Spitzfindigkeiten in Bezug auf den zu schützenden Bürgerstatus des Fötus und seine ›Menschenwürde‹ (vgl. u.a. Krüger 1997), während von Seiten der Frauenbewegungen gegen den Vorwurf von rechts, millionenfachen Mord zu begehen, und von links, nichts als »bürgerlich-elitäre« Forderungen zu stellen (u.a. Reiche 1968), gestritten wurde. Die langen Kämpfe um die Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs, um die genaue Frist, bis zu der Straffreiheit gelten sollte, und die Höhe des Strafmaßes sowie die Erstreckung auf weitere Personen (Ärzte, Familie) haben zu ausführlichen Diskussionen auf der Ebene menschlicher Werte geführt. Agnes Heller (1978) hat – entsprechend der Debatte um Menschenwürde – versucht, die Abtreibungsfrage wertmäßig zu entscheiden und kam zu dem Ergebnis, dass in der bürgerlichen Gesellschaft beides, Abtreibung und Abtreibungsverbot, »unwahre Werte« sind, weil sie sich beide nicht widerspruchsfrei zur höchsten Idee der Freiheit verhalten.

III. Kampf um reproduktive Rechte. – Die Kämpfe um die Legalisierung der Abtreibung, die von den Frauenbewegungen in den USA während des gesamten 20 Jh. geführt wurden, stießen zugleich auf Unterstützung und Kritik der materialistischen Feministinnen, weil die Politik mit der Privatheit von Individuum und Eigentum begründet wurde (›mein Bauch gehört mir‹). In der Folge erarbeiteten sie eine Politik, die die engen Grenzen liberaler Rechte überschritt. Sie forderten vom Staat mehr Verantwortung als den bloßen Schutz des Privaten und der Abtreibung; in Organisationen wie Reproductive Rights National Network (R2N2) (1977-91) und Committee for Abortion Rights and Against Sterilization Abuse (CARASA) (1978-94) arbeiteten sie umfassende Gesundheitsprogramme aus, die zugleich die soziale Lage einschlossen; sie warben Spenden ein für arme Frauen, die sich sonst eine Abtreibung nicht leisten konnten, und organisierten eine Kampagne gegen Zwangssterilisation. Sie argumentierten, dass Wahlfreiheit und Privatheit für Frauen, die zu arm seien, überhaupt Kinder großzuziehen, keine Bedeutung hätten. Das Abtreibungsverbot mit der Folge ungewünschter Kinder würde die Armut noch vergrößern. Der »wahre Grund für das Netzwerk« war, so Marilyn Katz, die Gründerin von R2N2, »die Verschiebung der Debatte, um über die Bedingungen zu sprechen, die für eine Entscheidung zum Kind notwendig sind« (zit.n. Staggenborg 1991). Diese Organisationen forderten für die Frauen nicht nur das Recht auf Abtreibung, sondern auch auf Kindertagesstätten und Gesundheitsversorgung, auf ein ausreichendes Einkommen, Verhütungsmittel, Krankengeld während der Schwangerschaft für lohnarbeitende Frauen und das Recht auf den Schutz vor ungewünschter Sterilisation. Ihr Programm beruhte auf der Einsicht, dass die Ungerechtigkeiten und Probleme der Reproduktion nicht allein mit dem Recht auf Abtreibung gelöst waren.

Armut/Reichtum, Entwicklungsländer, Eugenik, Familie, Feminisierung der Armut, Feminismus, Frauenarbeit, Frauenbewegung, Frauenemanzipation, Frauenfrage, freie Liebe, Gattungsfragen, Gentechnologie, Geschlecht, Geschlechterverhältnisse, Globalisierung, Ideologiekritik, Imperialismus, Industriegesellschaft, industrielle Reservearmee, Klassenkampf, Körper, Kubanische Revolution, Legalität/Legitimität, Malthusianismus, Marxismus-Feminismus, Mensch-Natur-Verhältnis, Menschenrechte, Moral, Natur, Nord-Süd-Konflikt, Ökofeminismus, Ökologie, Populationstheorie, Produktion des Lebens, Produktionsverhältnisse, Profit, Proletariat, Prostitution, Rasse und Klasse, Raubbau, Ressourcen, Selbstbestimmung, Sexpol, Sexualität, sexuelle Befreiung, Sozialdarwinismus, Sozialismus, sozialistischer Rechtsstaat, Staat, Stadt/Land, Übervölkerung, Umwelt, Unterentwicklung, Widerstand

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