Genesis
A: takwīn, aṣl. – E: genesis. – F: genèse. – R: genezis. – S: génesis. – C: qiyuan 起源
Wolfgang Fritz Haug
HKWM 5, 2001, Spalten 261-274
G (von gr. γένεσις), Ursprung, Erzeugung, Entstehung, Geburt), mit Werden und Vergehen korreliert, unterscheidet sich vom Historischen dadurch, dass darunter ein bestimmter Entstehungszusammenhang ›in Reinkultur‹, unter Ausblendung von Überlagerungen verstanden werden kann. Seine jeweilige Rekonstruktion ermöglicht die erfahrungswissenschaftliche Begründung sonst nur spekulativ herstellbaren Zusammenhangswissens. Marx setzt der analytisch-reduktiven Methode, die er etwa in Feuerbachs Religionskritik oder in der klassischen Politischen Ökonomie, v.a. bei Smith und Ricardo vorfindet, seine genetisch-rekonstruktive Methode entgegen.
»Genesis« heißt in der jüdisch-christlichen Überlieferung zunächst die biblische Schöpfungserzählung. In der philosophischen Verwendung des Ausdrucks wird diese Bedeutung in der Neuzeit immer mitschwingen, etwa wenn Herder die Erziehung als »zweite G« artikuliert. Im 19. Jh. kommt es in einer Reihe von Naturwissenschaften zum empirischen Durchbruch genetischen Denkens: Die Geologie findet zu einer erdgeschichtlich fundierten Unterscheidungsmöglichkeit zwischen Gesteinsarten; die Biologie wird durch die Entdeckung der Zelle und Darwins Nachweis der evolutionären Entstehung der Arten auf ein genetisches Fundament gestellt. Marx dialektisiert das genetische Denken und wendet es ins Sozioanalytische. Während für Hegel »der formgenetische und formverändernde Prozess […] primär Denkprozess« ist (Sohn-Rethel 1970), ist für Marx die Rekonstruktion der Formen-G »nur die Art für das Denken […], sich das Konkrete anzueignen« (Einl 57). Den Entstehungs- und Wirkungszusammenhang der Dinge zu denken, stößt sich mit der spontanen Metaphysik des gesunden Menschenverstands, sofern diesem die ›Wesen‹ der Dinge als fixe Entitäten gelten. »Statt das gesellschaftliche Ganze als Gegebenheit aufzufassen, in der sich Gesetze genetisch entwickeln, die dynamische Beziehungen sind, können viele nicht auf die Vorstellung von feststehenden Dingen verzichten« (Labriola, SPh).
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