eingreifendes Denken
A: fikr tadaḫḫulī. – E: intervening thought. – F: pensée intervenante. – R: rešajuščee myschlenie. – S: pensamiento de intervención. – C: jieru de sikao 介入的思考
Karen Ruoff Kramer
HKWM 3, 1997, Spalten 155-161
Nach Wizisla (1992) stammt der Begriff eD »aus Gesprächen zwischen Benjamin und Brecht. Es ist nicht zu eruieren, wer von beiden ihn geprägt hat.« Fixiert hat ihn zuerst Brecht im Entwurf zu einer Zeitschrift »Kritische Blätter« von 1929: »Sie muss das Bild einer Fabrik in Tätigkeit gewähren. […] Sie verficht und erläutert den Grundsatz, dass die üblichen Gefühle der Sympathie oder Antipathie zu Kunstwerken, die allemal auf einen Geschmack hinauslaufen, ›über den sich nicht streiten lässt‹, gar keinen Wert haben und dass auch ein Urteil keinen Wert hat, das nicht formuliert und fordernd ist. Sie lehrt also ›eD‹.« (…) Zu den hier umgesetzten Einflüssen mag Tretjakows Unterscheidung zwischen dem operierenden und dem informierenden Schriftsteller gehören, die Benjamin darauf zuspitzt, dass jener »nicht den Zuschauer zu spielen, sondern aktiv einzugreifen« hat (Der Autor als Produzent).
Unter marxistischem Denken will Brecht eD verstanden wissen (vgl. GA 22.2; GW 16), nicht Weltanschauung. Ka-meh, seine Marx-Figur im Me-ti, umschreibt er als »der eingreifend Denkende« (…) – im Gegensatz zu Mannheims »freischwebenden Intellektuellen«. ED meint bei Brecht ein Denken, das sich im Blick aufs antagonistische Feld der Klassenverhältnisse, worin ›Kopfarbeit‹ situiert ist, und in der Perspektive ihrer Überwindung in die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen einmischt. Diesen Anspruch formuliert Marx in ThF 11: »Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt drauf an, sie zu verändern« (…). Eine aktionistische Vulgarisierung dieses Gedankens – dass etwa das Denken (einschließlich des Interpretierens) aufgegeben werden soll zugunsten irgendeiner unmittelbaren ›Praxis‹ – würde jedoch die Auffassung von Marx ebenso verfehlen wie Brechts eD. »ED ist nicht nur in Wirtschaft eingreifendes Denken, sondern vor allem in Hinblick auf Wirtschaft in Denken eingreifendes Denken« (vgl. Ruoff 1976; Fahrenbach 1986).
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