Eklektizismus
A: taufīqīya. – E: eclecticism. – F: éclectisme. – R: ėklekticizm. – S: eclecticismo. – C: zhezhong zhuyi 折衷主义
Siegfried Wollgast
HKWM 3, 1997, Spalten 226-237
Der Term – abgeleitet von έκλεκτικός (griech.: auswählend; latinisiert: electicus) – charakterisiert einen Umgang mit Quellen, bei dem die Auswahl aus einander widersprechenden religiösen bzw. theoretischen Lehren, Ideen, Dogmen oder, neutral formuliert, Positionen diese als gleichwertig akzeptiert und aufarbeitet. In seiner langen Geschichte ist E vom Kennzeichen einer als fruchtbar bewerteten Methode zum Kampfbegriff gegen diese Methode, vom Ausdruck selbständigen Denkens und Wählens zum Charakteristikum unkritischen Vermischens und logischer Ungereimtheiten geworden. Zuweilen wurde E mit Synkretismus identifiziert, doch setzt dieser im Unterschied zum E voraus, daß sich der geistige Ertrag aller Denksysteme verbinden läßt; er scheitert regelmäßig an der Empirie und der formalen Logik, da sich die verschiedenen Systeme in der Sache nicht auf einen Nenner bringen lassen. Der E im klassischen Verständnis dagegen versucht, mit der Auswahl des Besten (Richtigen, Wahren) ein widerspruchsfreies Ganzes zu bilden.
Ob ein Denker Eklektiker ist, kann nicht durch die bloße Tatsache seiner Quellenarbeit, sondern auf Grund der Verarbeitungsweise der Quellen entschieden werden. Voraussetzung dieser Theorie-Praxis ist auch die eigene theoretische Position, die sich i.S. einer Wechselwirkung mit der Bewältigung der gewählten oder erfahrenen Probleme festigt bzw. aus ihr entsteht. Die Haltung jeder philosophischen Lehre, auch des Marxismus, zur voraufgegangenen Erkenntnis ist widersprüchlich. Sie schließt die Auseinandersetzung mit den Lehren ein, die ihr als Quelle dienen, zugleich ein auswählendes Verhältnis zu den Vorgängern entsprechend der sozialen und philosophischen Ausrichtung der eigenen Lehre.
Bei Marx kommt eine tiefe Verwurzelung der Ideen in den Konflikten und Kämpfen seiner Zeit hinzu, schon als er noch zur junghegelianischen Bewegung gehörte. Diese greift mittels Negation der Negation nicht nur auf Hegel zurück, sondern auf die klassische deutsche Philosophie, die Aufklärung und den Rationalismus überhaupt. Von der im deutschen Idealismus kursierenden pejorativen Auffassung ist auch Marx’ Verständnis von E geprägt.
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