Agrarfrage

A: masʾala zirāʿīya. – E: agrarian question. – F: question agraire. – R: agrarnyj vopros. – S: cuestión agraria. – C: nongye wenti

Theodor Bergmann

HKWM 1, 1994, Spalten 75-82

In ihren grundlegenden Arbeiten haben sich Marx und Engels intensiv mit der Landwirtschaft befaßt. Engels spricht 1843 von den drei Faktoren, die die Agrarproduktion beeinflussen: dem Boden (dessen Ausdehnung beschränkt ist), der Arbeitskraft (eventuell mit abnehmendem Ertragszuwachs) und der Wissenschaft, »deren Fortschritt […] unendlich« ist und die in geometrischer Progression voranschreite (Umrisse). Marx untersucht die Produktivitätsphasen der Landwirtschaft und zeigt, daß ihre Entwicklung anders verläuft als die der Industrie: zuerst schneller, dann »in der kapitalistischen Produktion« langsamer. Später, »auf einem gewissen Höhepunkt der Industrie«, muß die Disproportion abnehmen und ihre Produktivität schneller steigen als in der Industrie. Das bedinge aber die Entwicklung der diesbezüglichen Wissenschaften und das »Ersetzen des bärenhäuterischen Bauern durch den [Geschäftsmann], den [landwirtschaftlichen Kapitalisten], Verwandlung der Ackerbauer in reine Lohnarbeiter, Agrikultur auf großer Stufenleiter, also mit konzentrierten Kapitalien« (TM).

Dabei betont Marx, daß er vor allem die englische Landwirtschaft analysiere, die eine Sonderstellung einnehme. Nur hier habe die Entwicklung bisher die »klassische Form« erreicht (K I). In Frankreich mit seinem Parzellensystem und Fehlen von Maschinen und Arbeitsteilung sei die Lage völlig anders. Neben einer ausführlichen Behandlung der Grundrente befaßt er sich mit den besonderen Bedingungen der Agrarproduktion. Da der Boden nicht beliebig vermehrbar ist, der Nahrungsbedarf aber ständig steigt, müssen marginale Böden kultiviert werden. Deren Produktionskosten bestimmen dann den Marktpreis, so daß eine Differentialrente für die besseren Böden entsteht (Elend). Der Urproduzent profitiere aber am wenigsten von den neuen Entwicklungen, dem Kapitalzustrom zum Agrarsektor; dieser führe zur »Martyrologie der Produzenten«, zur »organisierten Unterdrückung seiner individuellen Lebendigkeit, Freiheit und Selbständigkeit« (K I). Die räumliche Isolierung der Landarbeiter breche ihre Widerstandskraft, während die der städtischen Arbeiter durch ihre Zusammenballung steige. Die kapitalistische Umwandlung des Produktionsprozesses sieht Marx auch als »Zerstörungsprozeß«: »Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen allen Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.« (…) […]

Bereits in der IAA (I. Internationale), später in kleineren Arbeiten von W. Liebknecht wurde versucht, ein sozialdemokratisches Agrarprogramm zu entwerfen. Die wichtigsten Forderungen waren: Enteignung der Gutsbesitzer, Übergabe von Großgrundbesitzungen an die dort beschäftigten Landarbeiter zu gemeinsamem, kooperattivem Betrieb, genossenschaftlicher Zusammenschluss der Kleinbauern, Koalitionsfreiheit der Landarbeiter. […]

Nach der Revolution erhält die A eine andere Dimension. Wie ist die Agrarreform zu gestalten, um den Landhunger weitgehend zu befriedigen, die Besitzstruktur zu nivellieren, ohne daß jedoch die Agrarproduktion beeinträchtigt wird und deren vermarkteter Anteil zurückgeht? Welche Schichten sind für den Sozialismus zu gewinnen, welche zu neutralisieren, welche sind politisch zu entmachten? Wie können die Millionen Kleinbetriebe in die sozialistische Planwirtschaft integriert werden? Welchen Beitrag können sie zum geplanten Entwicklungsstart leisten, und wie hoch soll dieser sein?

Agrarreform, Agrobusiness, Aufhebung, Ausbeutung, Bauern, Bauernbewegung, Bauernkrieg, Besitz/Eigentum, Bodenreform, Destruktivkräfte, Dorfgemeinschaft, Erde, Genossenschaft, Grundrente, Indiofrage, Kleinbauern, Kollektivierung, Latifundismus, Ökologie, Raubbau, Stadt/Land

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