internationalistische Bewegung
A: haraqa umamīya. – E: internationalist mouvement. – F: mouvement internationaliste. – R: internacionalističeskoe dviženie. – S: movimiento internacionalista. – C: guójì zhǔyì yùndòng 国际主义运动
Josef Hierlmeier
HKWM 6/II, 2004, Spalten 1437-1445
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Systemauseinandersetzung zunehmend in der sog. Dritten Welt ausgetragen. In vielen Kolonien formierten sich nationale Befreiungsbewegungen und forderten das Recht auf Selbstbestimmung ein. Die antikolonialen und antiimperialistischen Befreiungskämpfe wurden zum entscheidenden Bezugspunkt einer neuen IB in den westlichen Metropolen, die zum Großteil nichts mehr mit dem traditionellen proletarischen Internationalismus und der Politik der KPen zu tun haben wollte. Aus ihrer Sicht hatten die Befreiungsbewegungen in der ›Dritten Welt‹ das Proletariat als revolutionäres Subjekt abgelöst. Der keynesianische Wohlfahrts- und Sicherheitsstaat habe das Proletariat in die »Eindimensionalität« (Marcuse 1964) der kapitalistischen Verhältnisse eingebunden. Auch die KPen des Westens waren demzufolge Teil des Systems, weil sie zum einen den Klassenkampf in der Doktrin der ›friedlichen Koexistenz‹ stillgestellt hatten oder, wie in Frankreich während des Algerienkriegs, den Kolonialismus des Mutterlandes unterstützten.
Der Aufbruch der Jugend und der Studierenden, die zum Träger des neuen Internationalismus werden sollten, war ein globales Phänomen, das bis heute noch nicht hinreichend erklärt ist (Gilcher-Holtey 1998). V.a. der Widerstandskampf der vietnamesischen Befreiungsbewegung FNL unter Ho Chi Minh gegen die vielfach überlegenen USA sowie der Kampf der Schwarzen gegen die rassistische Diskriminierung in den US-Südstaaten faszinierten viele. Die »Verdammten dieser Erde« (Fanon 1961) sollten in ihrem antikolonialen Aufstand die Möglichkeit einer umfassenden Selbst- und Weltveränderung erkennen, mithin das Zeitalter der Ausbeutung und Unterdrückung beenden: »Denn wir stehen jetzt an dem Übergang zur Dritten Welt, zur Welt des neuen Menschen, mit der die Vorgeschichte des Menschen, seine Unterdrückung und Zerstückelung beendet sein wird«, so Bahman Nirumand auf dem Vietnamkongress 1968 in Berlin (SDS Westberlin). Diese messianische Utopie war für einen Großteil der Bewegung kennzeichnend. Einen wichtigen Beitrag zur neuen Revolutionstheorie lieferte der damalige chinesische Verteidigungsminister Lin Biao (1970). In Analogie zur chinesischen Revolution, die ihren Ausgang vom Land nahm und in einem langwierigen Kampf allmählich die Städte einkreiste, sah er diese Entwicklung jetzt auf der Weltebene. Danach waren Nordamerika und Westeuropa die ›Städte‹ der Welt, die durch die vom Kolonialismus befreiten Länder der Dritten Welt als den ›Dörfern‹ allmählich eingekreist wurden.
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