Instanz

A: al-marǧiʽ. – E: instance. – F: instance. – R: instancija. – S: instancia. – C: shěnjí, zhǔguǎn bùmén 审级, 主管部门

Wolfgang Fritz Haug (I.), Erich Wulff (II.)

HKWM 6/II, 2004, Spalten 1210-1220

I. Als die Unterwerfung der von Marx geleiteten Rheinischen Zeitung unter die Aufsicht eines staatlich- preußischen Zensors »nicht half«, wurde »jede Nummer außer der gewöhnlichen noch in zweiter I der Zensur des Kölner Regierungspräsidenten unterworfen« (Engels, Karl Marx). »I« in diesem Sinn ist ein juridischer, speziell verwaltungsrechtlicher Begriff für den hierarchischen Aufbau von Kompetenzen im Rahmen eines bürokratischen Staatsapparates. Geregelt ist dabei der Dienstweg oder Instanzenweg, der von unten nach oben zu durchlaufen ist, mit einer ›höchsten‹ oder ›letzten I‹ als abschließender Entscheidungsbefugnis, gegen die kein Einspruch mehr möglich ist. Metaphorisch abgeschliffen ist dieser I-Begriff in die Alltagssprache übergegangen. So auch in die Redeweise von Marx und Engels. »In erster I« bedeutet dann soviel wie ›zunächst‹, ›in erster Linie‹; »in letzter I« zumeist nicht viel mehr als ›letztlich‹. »›In letzter I‹ kann im Englischen als ›in the last analysis, in letzter Analyse‹, ›in the (court of) last resort, (beim) letztlich entscheidenden (Gerichtshof)‹, ›ultimately, letztendlich‹, ›in the final judgement, im abschließenden Urteil‹ wiedergegeben werden.« (Thompson 1980) Im starken Sinne meint ›I‹ eine Institution oder ein gesellschaftliches Teilsystem oder eine Systemebene, von wo eine eigenständige oder sogar entscheidende Wirkung ausgeht (z.B. »das Urteil des Marktes«). Einen epistemologischen Sinn gibt Peter Ruben der I-Metapher: die Funktion wissenschaftlicher »Modelle (einschließlich der zu ihnen gehörigen Theorien)« bestimmt er als die von »Geltungsinstanzen für die Urteile der entsprechenden Theorien« (1976).

Im Anschluss an die vom späten Engels als marxistische Kernauffassung verbreitete These, Moral, Recht, Philosophie und Politik seien »in letzter I durch die Entwicklung der Produktivkräfte und der Austauschverhältnisse [bestimmt]« (LF), und z.T. unterm Einfluss des psychoanalytischen I.en- Modells von Sigmund Freud entwickelte sich in den 1960er Jahren v.a. im strukturalistischen Marxismus eine gesellschaftstheoretische Verwendung, der es darum ging, Ebenen und Handlungszentren des Sozialen in ihrer komplexen Wechselwirkung zu fassen. »Der Begriff I fungiert hier, nicht anders als bei Freud, nach Art einer Metapher, Element eines Raums oder Teil eines Gebäudes.« (Bensussan 1985) Ist diese Topik räumlich-hierarchisch, so erscheint es radikaldemokratisch gewendeter kommunistischer Selbstkritik geboten, »v.a. die Vertikalität zu zerbrechen, in Begriffen von Netzen und nicht von I.en zu argumentieren« (Martelli 2001). Doch auch das Netz weist von »Gatekeepern« besetzte mehr oder weniger strategische Knotenpunkte auf, die etwa als Filter-I.en entscheiden, was auf die nächste Ebene durchkommt und was hängenbleibt (vgl. Badura 1972).

II. Psychischer Apparat. – Sigmund Freud verwendet die Begriffe psychischer Apparat (A) und I erstmals in seiner Traumdeutung (1900) in einer Auseinandersetzung mit der These Gustav Th. Fechners, »der Schauplatz der Träume« sei »ein ganz anderer […] als der des wachen Vorstellungslebens« (…). »Eine anatomische Deutung im Sinne der physiologischen Gehirnlokalisation oder selbst mit Bezug auf die histologische Schichtung der Hirnrinde«, kommentiert Freud, »wird man wohl auszuschließen haben. Vielleicht aber erweist sich der Gedanke einmal als sinnreich und fruchtbar, wenn man ihn auf einen seelischen A bezieht, der aus mehreren hintereinander eingeschalteten I.en aufgebaut ist.« (…) In einer ersten Definition fasst Freud diesen seelischen A »als ein zusammengesetztes Instrument, dessen Bestandteile wir I.en oder der Anschaulichkeit zuliebe Systeme heißen wollen« (…). Reize bzw. Erregungen durchlaufen die I.en des seelischen A demnach ähnlich wie das Licht, das durch die Linsen eines Fernglases schließlich in veränderter Form zum Auge gelangt. Wie diese I.en des psychischen A arbeiten, erläutert Freud folgendermaßen: »Wir nehmen an, dass es in unserem seelischen A zwei gedankenbildende I.en gibt, deren zweite das Vorrecht besitzt, dass ihre Erzeugnisse den Zugang zum Bewusstsein offen finden, während die Tätigkeit der ersten I an sich unbewusst ist und nur über die zweite zum Bewusstsein gelangen kann. An der Grenze der beiden I.en, am Übergang von der ersten zur zweiten, befinde sich eine Zensur, welche nur durchlässt, was ihr angenehm ist, anderes aber zurückhält. Dann befindet sich das von der Zensur Abgewiesene, nach unserer Definition, im Zustande der Verdrängung.« (Über den Traum)

In dieser ersten Topologie werden drei Systeme bzw. I.en des psychischen A benannt: das Unbewusste (Ubw), das Vorbewusste (Vbw) und das Bewusste (Bw), wobei an letzteres noch das System W (Wahrnehmung der Außenrealität) angeschlossen ist. Die Passagen von Ubw nach Vbw, aber auch von Vbw nach Bw, und schließlich von W nach Bw werden von Zensurinstanzen kontrolliert. Vergessen und Fehlhandlungen beruhen auf deren Tätigkeit, die unlustvollen Vorstellungen den Weg nach oben, zu den jeweils höheren seelischen Provinzen, versperrt. – Die Frage, ob auch der Zugang nach unten, vom Bw zum Ubw, verstellt sein kann, Verdrängen oder Vergessen somit unmöglich werden, hat Freud sich beiläufig in seiner ›Schreber‹-Studie beantwortet: die Psychose offenbare hemmungslos, was die Neurose als Geheimnis hüte (…).

Althusser-Schule, Artikulation/Gliederung, Ausdruck, Basis, Bestimmung/Determination, Determinismus, Ebene, Fiktionalismus, Freudomarxismus, Ganzes, Herrschaft, Ideologietheorie, ideologische Staatsapparate/repressiver Staatsapparat, integraler Staat, Konjunktur (politisch-historische), Metapher, Ökonomismus, Reflex, Strukturalismus, Superstrukturen, Überbau, Überdeterminierung

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