Independent Living
A: (al-hayāt al-mustaqilla), indibindint living. – E: Independent Living. – F: vie indépendante. – R: Samostotojeľnaja žizm’. – S: vida independiente. – C: zìlì shēnghuó 自立生活
Michael Zander
HKWM 6/II, 2004, Spalten 873-883
Als IL wird eine politische Konzeption bezeichnet, die Anfang der 1960er Jahre in der US-amerikanischen Behindertenbewegung entstand. »IL« als Ziel proklamierend, organisierten Behinderte sich als politische Akteure in eigener Sache gegen Ausgrenzung und Diskriminierung. Mittlerweile hat IL international an Einfluss gewonnen; im deutschsprachigen Raum wird »IL« mit »selbstbestimmt leben« übersetzt. Zu den Kernforderungen der Bewegung gehören: keine Aussonderung in allen Lebensbereichen (bes. Schule/Ausbildung, Arbeit, Mobilität und Wohnen); Zugänglichkeit bzw. Nutzbarkeit der gesellschaftlichen Infrastrukturen durch Menschen mit verschiedenen Behinderungen; Kontrolle über die Bedingungen der persönlichen Assistenz (als Alternative zu paternalistischer Betreuung); Selbstvertretung der Betroffenen. Politisch ist die Bewegung heterogen; umstritten ist, mit welchen Mitteln gesellschaftliche Teilhabe organisiert werden kann. Eine eher ›liberale‹ Strömung zielt darauf, behinderte Menschen von subalternen ›Patienten‹ bzw. ›Leistungsempfängern‹ zu ›Kunden‹ zu machen, die über den Kauf von Dienstleistungen (bes. in den Bereichen Assistenz und technische Hilfsmittel) selbst entscheiden; linke und marxistisch inspirierte Kräfte dagegen kritisieren, dass dies, wenn überhaupt, nur für eine kleine, privilegierte Gruppe von Behinderten möglich sei, und dass eine Teilhabe in kapitalistischen Formen neue Ausgrenzungen und Einschränkungen für Behinderte und Nichtbehinderte gleichermaßen schaffe; anzustreben ist demnach eine Überwindung sowohl der paternalistischen Abhängigkeitsbeziehungen wie auch des Zwangs zur ›Selbstbestimmung‹ unter fremdgesetzten Bedingungen. Die Behindertenbewegung ist hinsichtlich dieser Positionen keineswegs polarisiert; aber die Unterschiede werden im Zuge der neoliberalen Privatisierung, Individualisierung und Demontage der sozialen Sicherungen vermutlich zunehmend deutlicher in Erscheinung treten.
➫ Alltag, Anerkennung, Bewegung, Emanzipation, Eugenik, Exklusion, Gerechtigkeit, gesund/krank, Gleichheit, Gleichstellungspolitik, Handlungsfähigkeit, Identitätspolitik, Körper, Kulturhistorische Schule, Lebensführung, Malthusianismus, Marginalisierung, Menschenrechte, Menschenwürde, Neue Soziale Bewegungen, Selbstbestimmung, Selektion, soziale Bewegungen, Sozialfürsorge, Spartakismus, Vorurteil