Inflation

A: at-taḍaḫḫum al-mālī. – E: inflation. – F: inflation. – R: inflacija. – S: inflación. – C: tōnghuò péngzhàng 通货膨胀

Ingo Schmidt (I.), Jürgen Stahl (II.)

HKWM 6/II, 2004, Spalten 1017-1034

I. ›I‹, bei Paracelsus aus dem Lat. im medizinischen Sinn von »Blähung, Aufblähung«, wurde »ausgehend von der Vorstellung einer aufgeblähten Summe des umlaufenden Geldes im Amerik.-Engl. auf eine ›Vermehrung des (nicht einlösbaren) Papiergelds‹ uebertragen und ins Dt. entlehnt (19.Jh.)« (Etymol Wb; bei Grimm noch nicht nachgewiesen) und bezeichnet eine Aufblähung der Geldmenge, die je nach theoretischem Zugang als Ursache oder Begleiterscheinung eines steigenden Preisniveaus angesehen wird. Marx verwendet den Begriff I nur an einer Stelle der TM, und zwar auf englisch: »Geht den Krisen meist eine allgemeine inflation of prices vorher in allen der kapitalistischen Produktion angehörigen Artikeln.« (…) Eine eigenständige Theorie der I hat er nicht ausgearbeitet. Zu Marx’ Lebzeiten stellte I lediglich eine vorübergehende Begleiterscheinung innerhalb des Konjunkturzyklus oder eine Folge staatlicher Kriegsfinanzierung dar. Sie war kein prägendes Merkmal wie im 20. Jh. – auch nach Beseitigung der Hyper-I der 20er Jahre. Nach dem Zweiten Weltkrieg bleibt sie eine permanente Erscheinung, beschleunigt sich sogar, bis zu Beginn der 1980er Jahre eine scharfe Anti-I-Politik durchgesetzt wurde. Seither sind die I-Raten in allen kapitalistischen Metropolen zurückgegangen. Monetaristische Geldpolitik und haushaltspolitische Austerität treiben die Krise des Wohlfahrtsstaates und den neoliberalen Umbau der Gesellschaft voran. Sie bewirken die Gefahr einer Deflation und einer I fiktiven Kapitals.

II. Inflation im Staatssozialismus. – Nicht nur in propagandistischen, sondern auch in fachwissenschaftlichen Arbeiten zur Ökonomie des Sozialismus gab es kein Stichwort zur Problematik (Ehlert u.a. 1985; Ökonom. Lex. 1979; WdÖS 1973). Dabei hatten Währungsreformen nicht nur unmittelbar nach der Oktoberrevolution und infolge der disproportionalen wirtschaftlichen Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg in der UdSSR, sondern ebenso in Phasen der relativen Konsolidierung des sozialistischen Wirtschaftssystems in der UdSSR (1961), Jugoslawien (1961, 1965, 1971), Bulgarien (1962), Rumänien (1964) und Ungarn (1968) Hinweise auf inflationäre Tendenzen gegeben. Die Existenz offener I in Jugoslawien galt als Argument gegen Arbeiterselbstverwaltung und für zentrale Direktivplanung. In Abgrenzung zur Politik einer offenen I in Ungarn und Polen Ende der 1970er Jahre (vgl. Cassel 1985 u. 1989) wurde die »große Bedeutung« der »konsequenten Politik stabiler, niedriger Verbraucherpreise« und einer »nur wenig veränderten« Kaufkraft »für die soziale Sicherheit« hervorgehoben (Richter 1988). Die Politik der Preisstabilität über Subventionen wurde als »Instrument zur Durchsetzung gesellschaftlicher Interessen in der bewussten, planmäßigen Ausnutzung des Wertgesetzes« (Franke 1970) ausgegeben. […]

Die Ausschaltung der Preisbildung über den Markt macht »die Ermittlung des gesellschaftlich notwendigen Aufwandes und die richtige Berücksichtigung und Festsetzung des Anteils der Realeinkommen am Preis« zum Problem (WdÖS 1973). Stabile Endverbraucherpreise »für Waren des Grundbedarfs sowie für Mieten, Tarife und Dienstleistungen« (Bericht, 1986) und damit die Inexistenz von I sollten die Vorzüge der Wirtschafts- und Sozialpolitik belegen (…). Eine Politik stabiler Preise war allerdings nur in dem Maße zu leisten, wie Arbeitsproduktivität und Einkommenserhöhungen parallel gesteigert wurden. »Der Preis kann seine Funktion« nur dann »voll realisieren, wenn seine weitgehende Übereinstimmung mit dem gesellschaftlich notwendigen Arbeitsaufwand kontinuierlich überprüft und angestrebt wird« (…). Mit der ungenügenden Entwicklung der Produktivität kam es zu uneingestandener I in Gestalt offener und verdeckter Preiserhöhungen und einem hohen Geldmengenwachstum (Hartwig 1987; Castells 2003; Nick 2003). Der ökonomische Voluntarismus trug schließlich wesentlich zum Zusammenbruch bei.

Akkumulation, Arbeitslosigkeit, Automation, Banknote, Börse, faux frais, Finanzkapital, Finanzkrise, Finanzmärkte, Fordismus, Geld, Kapital, Kapitalentwertung/-vernichtung, Keynesianismus, Konjunktur (ökonomische), Konkurrenz, Krise, Lange Wellen der Konjunktur, Mehrwertrate, Monopol, Preis, Produktivität, Produktivkraftentwicklung, Profitrate, Rationalisierung, Regulationismus, Spätkapitalismus, Stagflation, tendenzieller Fall der Profitrate, Überakkumulation, Wirtschaftspolitik, Wirtschaftswachstum, wissenschaftlich-technische Revolution, Zins

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