fiktive Waren
A: sil‛a wahmīya. – E: fictitious commodities. – F: marchandises fictives. – R: fiktivnye tovary. – S: mercancías fictivas. – C: xuni shangpin
Anneliese Braun
HKWM 4, 1999, Spalten 480-485
Die zentrale These des anthropologisch-ökonomischen Werks von Karl Polanyi besagt, dass der kapitalistische Marktmechanismus zwar Fortschrittskräfte in einem historisch unbekannten Maße freisetzt, sich selbst überlassen aber zur »Zerstörung der Gesellschaft« führt (1944). Ein Element dieser These ist Polanyis Zusammenfassung von »Arbeit«, »Boden« und »Geld« zu »fW«, die sich gegenüber den »echten Waren« (…) durch ihren nicht-marktintegrierten Charakter auszeichnen.
Polanyis Darstellung der Besonderheiten der fW ist ein Ergebnis seiner Suche nach den Ursachen der Krisen des Kapitalismus in den 1920er und 30er, von Weltwirtschaftskrise, Faschismus (vgl. 1935) und Zweitem Weltkrieg. Ausgehend von der Feststellung Bronislaw Malinowskis und anderer Anthropologen, dass in den ›primitiven‹ Südsee-Gesellschaften die Ökonomie nicht für sich existiert, sondern in andere Institutionen wie Verwandtschaft und Religion ›eingebettet‹ ist, vertritt Polanyi die These, dass sich im modernen Kapitalismus die Wirtschaft aus der Gesellschaft herauslöst (›entbettet‹) und dieser zugleich ihre Marktgesetze aufherrscht. Dem stellte Polanyi die Perspektive einer von einem »sozialistischen Humanismus« geleiteten »Planwirtschaft« gegenüber; nur so könne »die Gesellschaft wieder die Ökonomie beherrschen« (Godelier 1957).
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