Frustration
A: ḥirmān. – E: frustration. – F: frustration. – R: frustracija. – S: frustración. – C: cuozhe
Günter Rexilius
HKWM 4, 1999, Spalten 1079-1085
Die von lat. fraus (Betrug, Täuschung, Schaden) abgeleitete frustratio bedeutet Täuschung, Vereitelung. Der Begriff ›F‹, der den Enttäuschungsaffekt eines betrogenen Befriedigungsstrebens meint, hat zwar – unbeschadet seiner Verbreitung im Alltag – in kritischer Gesellschaftswissenschaft keinen systematischen Ort gefunden, doch hat er in ihr, als eher heimlicher Brennpunkt eines zunehmenden, später mehr konstanten Gefühls enttäuschter Erwartungen und zerschlagener Hoffnungen, übergreifende Bedeutung erlangt, als einer der wenigen Begriffe, die in ihrer fokalen Bedeutung alle sozialen, kulturellen und Bildungsbarrieren überwunden haben.
Seine eigentliche Botschaft bringt schon die Definition des Begriffs »F« in der F-Aggressionshypothese bei Dollard u.a. (1939), die theoretisch verfremdet hat, was längst gesellschaftliche Realität war: Das paradiesische Glück, das die kapitalistische Produktion über die Warenästhetik versprochen hatte, erwies sich für viele als brüchig, unzuverlässig, enttäuschend – als frustrierend eben. Die zeitliche Nähe zwischen der Entstehung der F-Aggressions-Theorie und dem Kriegseintritt der USA beleuchtet, wenn er als Form national gesteuerter Aggressionsabfuhr gefasst wird, als historische Pointe den Zusammenhang zwischen Aggressionsstau und umfassender Versagenserfahrung. Die das lohnabhängige wie das herrschende Leben durchziehende Devise ›jeder ist seines Glückes Schmied‹ scheitert an der Banalität des schnöden Mammons so gut wie am strukturellen Prinzip der Konkurrenz auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Seine Verbreitung in der Studentenbewegung Ende der 1960er Jahre verdankt der Ausdruck F dem von Freud und Marx inspirierten (wenig erfolgreichen) Versuch, das Persönliche im Politischen und das Politische im Privaten zu entdecken. Erwartet wurde, mit der Befreiung von Lust und Liebe aus triebunterdrückenden Zwängen, etwa der festen Paarbeziehung, auch gleich das Potenzial für gesellschaftliche Veränderung zu gewinnen. Konsequenter griff die neue Frauenbewegung auf die persönliche Dimension des Politischen zu, um das Verhältnis der Geschlechter zueinander einschneidend zu verändern. Auf die Halbherzigkeit der Versuche, frustrierende Erfahrungen individuell und gesellschaftlich produktiv zu wenden, statt ihnen aggressiv und damit oft destruktiv zu begegnen, hat Jacoby (1969) hingewiesen.
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