Finanzkapital

A: ra'smāl mālī. – E: finance capital. – F: capital financier. – R: finansovyj kapital. – S: capital financiero. – C: jinrong ziben

Carl-Henrik Hermansson (GW) (I.), Mario Candeias (II.)

HKWM 4, 1999, Spalten 514-524

I. Der Begriff wird gewöhnlich mit Rudolf Hilferdings Imperialismus-Analyse in seinem Werk Das Finanzkapital (1910) verbunden. Inhaltlich jedoch kann er auf Marx zurückverfolgt werden. Gemäß seiner Analyse im Kapital wachsen die produktiven Einheiten und die individuellen Kapitale im Prozess der kapitalistischen Akkumulation. Konzentration und Zentralisation des Kapitals führen zu monopolistischen Organisationen. Die Konzentration und monopolistische Verhältnisse sind nicht auf die Industrie begrenzt, sondern zeigen sich im gleichen Ausmaß im Handel, in der Kommunikation, im Versicherungs- und Bankwesen. Als die zwei mächtigsten Hebel der Zentralisation charakterisiert Marx den Konkurrenzkampf und das Kredisystem, welches in einem weiten Sinne verstanden wird und nicht nur Banken umfasst, sondern den gesamten Finanzsektor, also auch die Wertpapiermärkte, Investmenthäuser usw. Zur Zentralisation innerhalb des Kreditsystems führt Marx aus: »Das Kreditsystem, das seinen Mittelpunkt hat in den angeblichen Nationalbanken und den großen Geldverleihern und Wucherern um sie herum, ist eine enorme Zentralisation und gibt dieser Parasitenklasse eine fabelhafte Macht, nicht nur die industriellen Kapitalisten periodisch zu dezimieren, sondern auf die gefährlichste Weise in die wirkliche Produktion einzugreifen – und diese Bande weiß nichts von der Produktion und hat nichts mit ihr zu tun.« (…)

Das Aktienkapital wird von Marx als ein wesentliches Instrument der Zentralisation angesehen. Die Entwicklung der Aktiengesellschaften bedeutet u.a. die »Verwandlung des wirklich fungierenden Kapitalisten in einen bloßen Dirigenten, Verwalter fremdes Kapitals, und der Kapitaleigentümer in bloße Eigentümer, bloße Geldkapitalisten« (…). Marx hat hier einen Prozess skizziert, der immer deutlicher im folgenden Jh. beobachtet wurde. Da »der Kredit dem einzelnen Kapitalisten oder dem, der für einen Kapitalisten gilt, eine innerhalb gewisser Schranken absolute Verfügung über fremdes Kapital und fremdes Eigentum und dadurch über fremde Arbeit« bietet (…), wird den nicht-industriellen Kapitalisten mittels des Systems der Aktiengesellschaften die Möglichkeit eröffnet, direkten oder indirekten Einfluss über den kapitalistischen Produktionsprozess zu gewinnen.

Hilferding entwickelte bereits in seinen NZ-Artikeln über den Funktionswandel des Schutzzolls (1902/03) wesentliche Elemente seiner F-Analyse. International konkurrenzfähige Staaten beförderten die Kartellbildung im Innern, um so ausländische Konkurrenten vom Binnenmarkt zu vertreiben. Damit ergreift die Kapitalistenklasse »unmittelbar, unverhüllt, handgreiflich Besitz von der staatlichen Organisation und macht sie zum Werkzeug ihrer Exploitationsinteressen« (…). Die jetzt möglichen Preiserhöhungen im Inland bescherten den Kapitalisten Extraprofite und ermöglichten ihnen, Waren auf den Weltmärkten zu Dumpingpreisen zu verkaufen. Ein immer schwieriger werdender Konkurrenzkampf auf dem Weltmarkt führte zu aggressiven rüstungs-, kolonial- und außenpolitischen Reaktionen der kapitalistischen Länder. Das Schutzzollsystem leitet so die letzte Phase des Kapitalismus ein, die »bewusste Vergesellschaftung aller in der heutigen Gesellschaft vorhandenen wirtschaftlichen Potenzen, aber eine Zusammenfassung nicht im Interesse der Gesamtheit, sondern um den Grad der Ausbeutung der Gesamtheit auf eine bisher unerhörte Weise zu steigern« (…).

II. […] Im nachfordistischen Hightech-Kapitalismus des ausgehenden 20. Jh. können Entwicklungen beobachtet werden, die mit dem ursprünglichen hilferdingschen Konzept nicht zu fassen sind, für deren Analyse der Begriff des F aber weiterhin fruchtbar sein kann. So lässt sich die Trennung von F in der Hand von Banken und Industriekapital in Form von Unternehmen so nicht mehr aufrechterhalten. Multi- und transnationale Unternehmen übernehmen mehr und mehr die Funktion von Banken und vereinen industrielle Produktion, Kreditvergabe, den Handel mit Wertpapieren, Derivaten und Devisen unter einem Dach. Das industrielle Kapital dringt auf Gebiete vor, die traditionell zum Bankkapital gehörten. Zugrunde liegt dem eine strukturelle Überakkumulation des Kapitals und der tendenzielle Fall der Profitraten im Zuge der Krise des Fordismus, wodurch ein zunehmender Überschuss an liquiden Mitteln entsteht, der nicht produktiv reinvestiert wird. Das hohe Realzinsniveau lässt produktive Investitionen unrentabel erscheinen. Auf der Suche nach gewinnbringenden Anlagemöglichkeiten fließt ein großer Teil der Unternehmensgewinne nun in Finanzanlagen. Auf diese Weise wird der reale Akkumulationsprozess von der monetären Seite her blockiert (Hübner 1988; Huffschmid 1997).

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f/finanzkapital.txt · Zuletzt geändert: 2024/02/04 18:08 von christian     Nach oben
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