Katharsis

A: tahṭir. – E: catharsis. – F: catharsis. – R: katarsis. – S: catarsis. – C: kataxisi, jinghua 卡塔西斯, 净化

Peter Thomas

HKWM 7/I, 2008, Spalten 495-504

K‹ geht zurück auf gr. καθαρσις von καθαίρω (ab-, wegwaschen, abspülen; befreien, sühnen). Der Stamm ist unklar. »Eine annehmbare Etymologie fehlt.« (Frisk, I, 752) Die lat. Entsprechung ist purgatio (Reinigung, Rechtfertigung; von purus – verwandt mit πῦς, Feuer – rein, sich gleichsam abstoßend von pus, Eiter), daher dann purgatorium (Fegefeuer) mit dem komplementären purgamentum, gr. καθαρμα, für das Herausgesäuberte (Schmutz, Unrat; Auswurf) und purgamen mit dem polaren Doppelsinn, Unrat und Sühnungsmittel, also Befleckung und Reinigung in Einem zu bezeichnen. Der Term ›K‹ verweist vor aller ästhetischen Bedeutung in der Poetik des Aristoteles auf eine »Reinigung […] in eigentl. u. übertragenem Sinn« (Benseler-Kaegi, Gr. Wb.), vom alltäglichen Akt des Sich-Waschens, bis zu dessen metonymischer Ausdehnung auf rituelle ›Waschungen‹ nach einer ›Befleckung‹ oder einem ›Frevel‹ wie »unerlaubter Betretung eines heiligen Orts« (Stichw. καθαρμός, ebd.; vgl. Dodds 1951).

Wie für alle »wichtigen Kategorien der Ästhetik« gilt für die K, dass sie »nicht aus der Kunst ins Leben, sondern aus dem Leben in die Kunst« gekommen ist (Lukács 1963/1981). George Thomson, wie vor ihm bereits Jacob Bernays (1857), hat sie auf die magisch-medizinischen Heilpraxen zurückgeführt, in denen es um die »Austreibung der Krankheit zwecks Erneuerung der Lebenskräfte« geht (1941/1979). Das im antiken Athen im Kontext der Ausbildung der Demokratie geprägte Theater mit seiner kathartischen Funktion lässt sich als Abkömmling sozialintegrativer Riten begreifen. Wo die Klassengegensätze das Gemeinwesen zu zersetzen drohen, bedarf es einer rituellen Versöhnung, die das Unglück nicht verleugnet, jedoch die Aufgabe hat, es als »conditio humana einzuschärfen – indem es als eines vorgestellt wird, das alle betreffen kann, ungeachtet ihrer gesellschaftlichen Stellung, macht es noch »die Allerelendesten geneigt, sich für glücklich zu halten« (Lessing, Hamburgische Dramaturgie, 78. Stück). Bertolt Brecht hingegen wird sich die Frage stellen, was »an die Stelle von Furcht und Mitleid gesetzt« werden kann, »des klassischen Zwiegespanns zur Herbeiführung der aristotelischen K« (Über experimentelles Theater, 1939/40). »War es möglich, etwa anstelle der Furcht vor dem Schicksal die Wissensbegierde zu setzen, anstelle des Mitleids die Hilfsbereitschaft?« (…) Antonio Gramsci weist dem Begriff eine entscheidende hegemonietheoretische Bedeutung zu: um eine gesellschaftlich führende Rolle erlangen zu können, muss das ethisch-politische Projekt einer Gruppe oder Klasse von korporatistischen Gruppeninteressen gereinigt und in eine Form gebracht werden, die einen zumindest partiell klassenübergreifenden Konsens findet.

Ästhetik, Brecht-Linie, Einfühlung, ethisch-politisch, griechische Antike, Haltung, Hegemonialapparat, Hegemonie, Historizismus (absoluter), Ideologietheorie, Innenwelt/Außenwelt, Intellektuelle, Ketzer, Klasse an sich/für sich, Klassenbewusstsein, Kohärenz, Ökonomismus, Philosophie der Praxis, Realismus, Spekulation, Subalternität, Superstruktur, Theater, Tragisches

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