Miete
A: ’īǧār. – E: rent. – F: loyer. – R: plata. – S: alquiler. – C: zūjīn 租金
Bernd Belina
HKWM 9/I, 2018, Spalten 858-870
M wird im deutschsprachigen Raum v.a. mit Wohnungs-M in Verbindung gebracht. Das fundamentale Bedürfnis nach Wohnraum kann im Kapitalismus nur durch Kauf oder Erbe von Wohneigentum oder durch M befriedigt werden. Mietwohnverhältnisse erzeugen bes. bei der städtischen Bevölkerung regelmäßig soziale Probleme, angefangen beim knappen Angebot über die Belastung des Haushaltseinkommens oder die erzwungene Mobilität bis hin zur Wohnungs- bzw. Obdachlosigkeit (die auch überschuldete Wohneigentümer treffen kann). Dies führt immer wieder zu Protesten und politischer Organisierung.
M ist den Gesetzen von Angebot und Nachfrage nicht nur am Wohnungsmarkt, sondern auch an den Grundstücks- und Finanzmärkten ausgesetzt. Das Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter ist eingebettet in jenes zwischen Immobilieneigentümer und Kreditgeber, zwischen Bauwirtschaft und Bauherr, zwischen Kapital und Grundbesitz sowie zwischen Kapital und Arbeit, wobei der regulierende Staat stets mit im Spiel ist. Die polit-ökonomische Bestimmung von M in ihren komplexen Verzweigungen stellt marxistische Theorie vor Herausforderungen, derer sich nur wenige Autoren angenommen haben. Das Folgende konzentriert sich auf die Beiträge von Marx und Engels zur politischen Ökonomie der Wohnungs-M sowie auf Arbeiten seit den 1970er Jahren.
M bezeichnet im bürgerlichen Recht eine Geldzahlung, die zur zeitweisen Nutzung einer Sache ermächtigt, die sich in fremdem Eigentum befindet. Die M von gebauter Umwelt und dort v.a. jene für Wohnraum ist zentral für den Gesamtprozess der gesellschaftlichen Reproduktion. Auch andere Dinge können ›gemietet‹ werden, etwa Maschinen oder Arbeitskräfte, jedoch ist ›M‹ dort meist nicht der gängige Begriff, sondern z.B. ›Leasing‹ oder ›Leiharbeit‹.
Die Entwicklung der Produktivkräfte im Zuge der kapitalistischen Industrialisierung in Europa im 19. Jh. erforderte die Unterbringung einer schnell wachsenden Menge von Proletariern in Städten, in erreichbarer Entfernung zu den Arbeitsstätten und unter Bedingungen, die die Leistungsfähigkeit der Arbeitskraft sicherstellen mussten. Dies konnten die liberalen Marktmechanismen nicht gewährleisten, die soziale Frage zeigte sich daher v.a. als Wohnungsfrage. Bürgerliche Reformbestrebungen versuchten, innerhalb der gegebenen Herrschaftsverhältnisse die physische und psychische Reproduktion der Arbeiterklasse den wachsenden Anforderungen der kapitalistischen Produktionsbedingungen anzupassen. Die Wohnungsfrage wurde indessen zunehmend zu einem Gegenstand der Klassenkämpfe und letztlich als eine Systemfrage begriffen.
Je nach historischer Entwicklung, lebenskulturellen Tendenzen sowie staatlicher Regulierung zugunsten der Mietverhältnisse oder der Bildung von Wohneigentum variiert das quantitative Verhältnis zwischen zur M Wohnenden und Wohneigentümern stark. Die staatliche Förderung des Erwerbs von eigenem Wohneigentum durch Zuschüsse oder Kredite verringert die Anzahl derjenigen, die zur M wohnen. Während in vielen Ländern Wohnungsmiete − begleitet von schwachen Mieterrechten − mit Armut einhergeht, liegt die Situation etwa in der BRD und der Schweiz anders. Hier lebt infolge der politischen Regulierung der Wohnungsfrage, wie sie im 20. Jh. durchgesetzt wurde, rund die Hälfte der Bevölkerung zur M.
➫ Ausbeutung, Besitz/Eigentum, fiktives Kapital, Gemeinwirtschaft, globale Stadt, Grundeigentum, Grundrente, Haus, Inwertsetzung, Kapital, Kommunalpolitik, Kommune, Kredit, Leiharbeit, Mangel, Markt, Mehrwert, Metropole, Monopol, Pacht, Preis, privat/gesellschaftlich, Privateigentum, Privatisierung, Profit, Raum, Rotes Wien, Sozialpolitik, Stadt, Stadt/Land, Städtebau, trinitarische Formel, Überakkumulation, Ware, Wohnungsfrage, Zins