Mangelwirtschaft

A: iqtiṣād an-nudra. – E: economics of shortage. – F: économie de pénurie. – R: defizitnaja ėkonomija. – S: economía de escasez. – C: duǎnquē jīngjì 短缺经济

Thomas Sauer (I.), Lutz Brangsch (II.)

HKWM 8/II, 2015, Spalten 1636-1657

I. Die Armut staatssozialistischer Gesellschaften erscheint als ein ungeheurer Warenmangel, die Leere des Einkaufsregals als dessen Elementarform. Diese Bewertung gilt in dieser Allgemeinheit, wenn als Maß des gesellschaftlichen Reichtums nur die Marktleistung und nicht auch andere Kriterien wie soziale Sicherheit sowie die Ergebnisse staatssozialistischer Entwicklung im Bildungs-, Gesundheits- und Rentensystem akzeptiert werden. Zudem unterschieden sich die staatssozialistischen Länder hinsichtlich Schärfe und Umfang des Mangels deutlich voneinander, und die Empfindung des Mangels war den sich verändernden gesellschaftlichen Umständen und subjektiven Konditionen unterworfen. Dennoch muss M als ein allgemeines Kennzeichen staatssozialistischer Gesellschaften gelten, zumal die Bemühungen um deren Überwindung als treibendes Motiv für die Transformation des Staatssozialismus in kapitalistische Marktwirtschaften anzusehen sind.

Bei den Versuchen, den Zusammenhang zwischen den Erscheinungen von M und dem Niedergang des staatssozialistischen Systems zu erklären, spielte die Zurückführung der M auf das im Staatssozialismus vorherrschende »administrative Kommandosystem« eine wichtige Rolle. Auch Michail Gorbatschow (1987a) griff u.a. in einer vor dem Plenum des ZK der KPdSU am 25. Juni 1987 gehaltenen Rede implizit die These auf, wonach es v.a. das allgegenwärtige »administrative Kommandosystem« bzw. »befehlsadministrative System« sei, das die Umgestaltung verzögere, und dass nur demokratische Formen der Wirtschaftsleitung die von ihm angestrebte Beschleunigung (Uskorenie) der Umgestaltung (Perestrojka) sichern könnten (vgl. Haug 1989, 130f, 147f u. 151). In diesem Kontext wurde das Verhältnis zwischen M und Kommandosystem in den Reform- und später Transformationsdebatten der 1980er und 90er Jahre kontrovers diskutiert.

II. Das Phänomen M und seine politischen Konsequenzen war ein zentrales Thema der Debatten auf dem Gebiet der politischen Ökonomie des Sozialismus. Hierfür gab es keine ausgearbeitete marxistische Theorie, sodass die Debatte praktisch alle Fragen der marxschen KrpÖ unterm Gesichtspunkt ihrer Rolle für die Wirtschaft in einer sozialistisch verstandenen Gesellschaft berührte. Zugleich stellt sich die Frage einer systemübergreifenden Bestimmung der Problematik von M und ihrer historischen Erscheinungsformen und Lösungsversuche.

Anarchie der Produktion, Arbeitszeit, Armut/Reichtum, Bedürfnis, befehlsadministratives System, Befehlswirtschaft, Bewusstheit, Destruktivkräfte, Errungenschaften des Sozialismus, Ethik im Sozialismus, faux frais, Gesamtarbeit, gesellschaftlich notwendige Arbeit/Arbeitszeit, Gleichgewichtstheorie, Gorbatschowismus, Industrialisierung, intensive/extensive Akkumulation, intensive/extensive Reproduktion, Irrationalität des Kapitalismus, jugoslawischer Sozialismus, kapitalistische Produktionsweise, Kommandohöhen, Konkurrenz, Konsumgesellschaft, Konsumnorm/Konsumweise, Kriegskommunismus, Krise, Krisentheorien, Lebensweise/Lebensbedingungen, Leistung, Mangel, Markt, Marktsozialismus, Marktwirtschaft, Menschenbild, Neue Ökonomische Politik, Neues ökonomisches System, Ökologisierung der Produktion, Ökonomie der Zeit, Perestrojka, planmäßige Produktion des Einzelkapitals, Planwirtschaft, Preise im Sozialismus, Produktionsplanung, Produktionsverantwortlichkeitssystem, Produktivkräfte/Produktionsverhältnisse, Produktivkraftentwicklung, Realer Sozialismus, Ressourcen, Sowjetische Gesellschaft, sozialistische Marktwirtschaft, sozialistische Warenproduktion, Staatseigentum, staatsmonopolistischer Sozialismus, Tonnenideologie, Transformation, Überakkumulation, Überfluss, Übergang, Übergangsgesellschaft, Unterentwicklung, Wertgesetz im Sozialismus

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