Matriarchat, Mutterrecht

A: niẓām ’umūmī, ḥaqq al-’umūma. – E: matriarchy, mother right. – F: matriarcat, droit maternel. – R: matriarchat, materinskoe pravo. – S: matriarcado, derecho materno. – C: mǔxì shèhuì, mǔquán 母系社会,母权

Hartmut Zinser

HKWM 9/I, 2018, Spalten 359-362

1. Der Begriff Mutterrecht, von dem später das Wort Matriarchat abgeleitet wird, ist eine Erfindung des Juristen und Altertumsforschers Johann Jakob Bachofen (1815-87). Er konstruiert 1861 auf Grundlage einiger antiker Historiker (Herodot, Strabo, Heraklides u.a.), v.a. unter Auswertung der gesamten antiken Mythologie und unter Verweis auf neuere ethnographische Berichte das »Gemälde« (GW II, 18) der von ihm »Mutterrecht« genannten Kulturstufe (mit der Methode der Mytheninterpretation). Diese ist eingebettet in eine Geschichtskonstruktion, die mit einem stofflich-weiblichen bzw. »stofflich-mütterlichen« (36) Prinzip beginnt und einem »väterlich-geistigen« (54) endet, Geschichte mithin als Geschlechterkampf interpretiert. Das Mutterrecht ist dem Patriarchat entgegengesetzt, unter ihm herrschen die Mütter in der Familie und »in folgerichtiger Erweiterung auch in dem Staate« (142). Es sei infolge der »Gleichartigkeit und Gesetzmäßigkeit der menschlichen Natur« eine allgemeine Kulturstufe und nicht Eigenart einzelner Völker (11). Es gliedere sich selber in drei Phasen (36ff): 1. den Hetärismus, in dem, als dem Urzustand der Menschheit, ein völlig ungeregeltes Geschlechtsleben herrsche; 2. das Amazonentum als Übergangsepoche, gekennzeichnet durch die Figur der »strengen Jungfrau« (50), die »kriegerische, männerfeindliche Heldengröße« (185) mit Ehefeindlichkeit (187) und gelegentlichem Hetärismus verbindet; 3. die eheliche Gynaikokratie, die das Amazonentum als »Entfremdung« von der »natürlichen Bestimmung« der Frau und den Hetärismus als »regellose Überlassung an dieselbe« (100) durch »strengste eheliche Keuschheit« (102), Frömmigkeit und »untadelige Schönheit« (25) überwinde, wobei »Würde und Reinheit des Weibes« (40) mit dem »gebietenden, ernst waltenden Matronentum der Frau« (136) verbunden seien. Im gynaikokratischen Mutterrecht gehe die Herrschaft der Frau mit einer geschlechtlichen Arbeitsteilung einher, in der die Männer ausziehen, um Beute zu machen. »Die Weiber aber bleiben zu Hause, hüten die Kinder, warten des Viehs.« (137)

Gesellschaften mit Mutterrecht im Sinne Bachofens haben sich nicht nachweisen lassen. Was es gab und teilweise auch im 21. Jh. gibt, sind Gesellschaften mit 1. Matrilinearität (Bestimmung der Abstammung durch die Mutter); 2. matrilinearer Erbfolge; 3. Matrilokalität (Bestimmung der Residenz eines Ehepaares nach der Frau); 4. anderer und höherer Bewertung der Stellung der Frau im Produktionsprozess; 5. größerer Beteiligung der Frau an allgemeinen und individuellen Entscheidungen; 6. größerer sexueller Selbstbestimmung der Frau als in patriarchalen Verhältnissen. Es lässt sich eine Vielzahl von Mischungen und anderen Kompromissen zwischen matrilinearen usw. und patriarchalen Strukturen nachweisen.

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m/matriarchat_mutterrecht.txt · Zuletzt geändert: 2024/02/11 13:51 von christian     Nach oben
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