Männlichkeit

A: ḏukūra. – E: masculinity. – F: masculinité. – R: mužestvennost’. – S: masculinidad. – C: nánzǐ qìgài 男子气概

Raewyn Connell (LW)

HKWM 8/II, 2015, Spalten 1675-1688

Öffentliche Debatten über die ›Befreiung der Männer‹ und ›die Männerrolle‹ kamen – ausgelöst durch die Frauenbewegung – in den 1970er Jahren auf. Erst in den 1990er Jahren wurden Fragen der M in vielen Teilen der Welt zum politischen Thema. Auseinandersetzungen entbrannten über die Erziehung von Jungen, die Gesundheitsversorgung von Männern, ihren Anteil an häuslicher Gewalt, ihre Rolle in der gesellschaftlichen Entwicklung usw. Diese Diskussionen können nicht – wie es manche Linke versuchten – als bürgerliche Lifestyle-Fragen abgetan werden; der Bedarf nach Wissen über Männer und neuen M-Bildern kommt auch von Männern aus der Arbeiterklasse, deren Familien- oder Arbeitsleben von den veränderten Geschlechterverhältnissen betroffen ist. So ruft das Verhalten von ökonomisch marginalisierten und ›außer Kontrolle‹ geratenen jungen Männern starke gesellschaftliche Ängste hervor. Die Debatten über Männer und M spiegeln zugleich den Einfluss der Frauenbewegung und die staatliche Reorganisation unter dem Regime der Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsgesetze wider.

Auch jenseits der globalen Zentren verweist der Bedarf nach Wissen über M auf drängende Probleme. Männliche Sexualität und Gewalt waren entscheidende Faktoren bei der Ausbreitung der HIV/AIDS-Pandemie im subsaharischen Afrika und in Südasien. Der durch sog. Strukturanpassungsprogramme vorangetriebene neoliberale Umbau der peripheren Ökonomien drängte männliche Arbeiter in großer Zahl in prekäre Beschäftigungsverhältnisse und schuf neue ökonomische Positionen für Frauen. Neue Patriarchate und neue Formen der Auseinandersetzung zwischen den Geschlechtern entstanden in den post-sozialistischen Staaten und den aufsteigenden kapitalistischen Ökonomien Chinas und Indiens.

Zu Beginn des 21. Jh. sind die Geschlechterverhältnisse weltweit im Umbruch und die damit zusammenhängenden Veränderungen der Rollenmuster betreffen auch Männer und Jungen. Fragen der M sind komplex, hochpolitisch und tief verwurzelt im ökonomischen und gesellschaftlichen Leben und in der Geschichte. Marxistisches Denken hatte zu diesen Fragen seit Ende des 19. Jh. wenig beizutragen; die politische Praxis der Arbeiterbewegung ist geradezu ein Paradebeispiel maskulinisierter Politik. Eine demokratisch-sozialistische Perspektive kann jedoch durch eine Kritik von M und Aufmerksamkeit für die nach Geschlecht strukturierten Lebenswirklichkeiten von Männern und Jungen bereichert werden.

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