Etymologie

A: ‛ilm-al-dalālāt al-luġāwiya. – E: etymology. – F: étymologie. – R: ėtimologija. – S: etimología. – C: yuyuanxue 语源学

Klaus Bochmann

HKWM 3, 1997, Spalten 944-953

Der von den Stoikern aus griech. ἔτυμος »wahr, richtig« und λόγος »Lehre« gebildete Begriff der E bezeichnete ursprünglich eine philosophische und poetische Denkmethode, die »Suche nach dem Wahren durch die Wörter und in den Wörtern« bzw. die Herstellung von Bedeutungsbeziehungen zwischen zwei lautlich einander ähnlichen Wörtern. Im modernen Sinn bezeichnet E das linguistische Verfahren, auf der Grundlage der Laut- und Bedeutungsgeschichte der Wörter ihre Herkunft bzw. Ursprungsform und -bedeutung, das ἔτυμον, zu ermitteln. E entspringt dem Bedürfnis der Sprecher, die scheinbar ungeordnete Vielfalt der Wörter ihrer Sprache in systematische Beziehungen der formalen und semantischen Nähe oder Verwandtschaft (Wortfamilien, Wortbildungsmuster, Bedeutungs- und Begriffsfelder, Gegensatzpaare usw.) einzuordnen und sich damit ihrer Bedeutung und ihres richtigen Gebrauchs zu versichern. Für die Aufnahme neuer Wörter stellt diese Inbezugnahme auf bereits Bekanntes eine Entlastung des Gedächtnisses dar, ist also ein sprach- bzw. denkökonomisches Verfahren. Falsche Zuordnungen sind dabei nicht selten; führen sie zu Bedeutungsverschiebungen oder Formveränderungen, die in den allgemeinen Sprachgebrauch eingehen, ist von Volksetymologie die Rede. So hat irritieren, das auf frz. irriter »erzürnen, erregen« zurückgeht, im Deutschen durch die falsche Zuordnung zum Wortfeld irren die umgangssprachliche Bedeutung »verunsichern, verwirren« erhalten. Als heuristisches bzw. erkenntnismäßiges Verfahren kann eine als Wort- und Begriffsgeschichte betriebene E zur Aufhellung kultur- und ideologiegeschichtlicher Zusammenhänge und Transfers dienen. Ihr Aussagewert hängt davon ab, wieweit berücksichtigt wird, erstens dass Wörter relativ arbiträre Zeichen sind und ihre Wahl von einer Vielfalt unterschiedlichster, auch zufälliger Determinanten bestimmt wird; zweitens dass sie auf die bezeichnete Sache nicht direkt, sondern vermittelt über Vorstellungen (Bedeutungen) referieren, daher Wort- und Begriffsgeschichte allenfalls ideologie- und kulturgeschichtliche Indizien, nie aber den alleinigen Beweis für realgeschichtliche Zusammenhänge bereitstellen kann; drittens dass Wörter einem ständigen, durch Übertragung auf neue Sachverhalte bedingten Bedeutungswandel unterliegen, daher nicht von einer »eigentlichen«, sondern immer nur von geschichtlich-konkreten, von historischen Subjekten im jeweiligen Kontext modifizierten Bedeutungen auszugehen ist. In diesem Zusammenhang kann E auch als sprachkritisches Verfahren dazu dienen, die ideologische, philosophische, religiöse usw. Definitionsmacht sozialer Gruppen in Frage zu stellen, indem nachgewiesen wird, wie Wörter geschaffen oder umgedeutet werden, um Sachverhalte zu entstellen, verhüllen oder zu beschönigen. Schließlich kann E auch als poetisches Verfahren gebraucht werden, indem frühere Formvarianten sowie Bedeutungen, die sich im Archiv der Sprache bewahrt haben, reaktiviert werden und durch ihre Verbindung mit den aktuellen Konnotationen der betreffenden Wörter eine assoziationsreiche Sprache geschaffen wird.

Artikulation/Gliederung, Bedeutung, Enzyklopädie, Geistesgeschichte, Hegemonie, Ideologiekritik, Interpretation, Kommunikation, Lorianismus, Metapher, Popularliteratur, Semiotik, Sprache, Strukturalismus, Text, Verhimmelung

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