Kapitallogik

A: mantiq arra’smāl. – E: logic of capital. – F: logique du capital. – R: logika kapitala. – S: lógica del capital. – C: ziben luoji 资本逻辑

Wolfgang Fritz Haug (I.), Vesa Oittinen (II.)

HKWM 7/I, 2008, Spalten 348-359

I. Den Ausdruck »K« hat Hans-Jørgen Schanz 1973 in Dänemark zum programmatischen Schulnamen gemacht; im deutschen Sprachraum hat Peter Ruben 1977 ihm »seine pejorative Prägung« verliehen (Hoff u.a. 2006) und damit zugleich zu seiner Verbreitung beigetragen. Die vorübergehende Hegemonie der K lässt sich daran ablesen, dass Wolfgang Fritz Haug es ein Jahr zuvor für nötig hielt, der 2. Auflage seiner Kapital-Einführung die Warnung vorauszuschicken: »Wer bisher nur schematisierende Darstellungen der Kapital-Logik kennt, wird sich vielleicht verwirrt fühlen, wenn ihm zugemutet wird, einen sehr viel weniger ruhigen, regelmäßigen Gang und Aufbau zur Kenntnis zu nehmen, als ihn zum Beispiel die Rede vom ›Aufsteigen vom Abstrakten zum Konkreten‹ zu bedeuten scheint.« (2005) Von der Nachwirkung zeugt, dass der Ausdruck »K« etwa bei Alain Lipietz 1988 als deutsches Fremdwort auftaucht und ebenso ins Englische übernommen wurde.

Die Denkrichtung, die zeitweilig unter dem Namen »K« Schule machte, lässt sich als eine der Antworten auf die zuerst in Lenins Philosophischen Heften unterm Eindruck des Studiums der hegelschen Logik aufgeworfene Frage nach der »Logik des ›Kapitals‹« (…) begreifen. In der ersten Begeisterung über die anscheinend rein innerbegriffliche Leistungsfähigkeit der neu entdeckten KrpÖ wandten sich neomarxistische Intellektuelle ab der zweiten Hälfte der 1960er Jahre im Vorfeld und verstärkt im Ausgang der Studentenbewegung der Denkrichtung zu, die als ›K‹ v.a. in der BRD und den nordischen Ländern für wenige Jahre zu einer linken Theoriemode wurde, bis der strukturalistische Marxismus sie ablöste. Zu den bleibenden Verdiensten dieser Episode neomarxistischer Theoriegeschichte gehört trotz und zum Teil auch dank der in Sackgassen verschwendeten Energie eine geschärfte Aufmerksamkeit für die Frage nach den Wertformen, auch wenn sie oft »nur zu einem (manchmal als ›K‹ bezeichneten) rein logischen Verständnis der kapitalistischen Entwicklung [führte], das wenig Raum für den Klassenkampf lässt« (Holloway 1997). Ausläufer der hegelianisierenden K tauchten in den 90er Jahren teils in ›wertkritischen‹ Positionen wieder auf, teils reartikulierten sie sich mit Elementen des althusserianischen Antihegelianismus als ›logische‹ Kapital-Interpretation, die sich als Gegensatz zur ›historischen‹ versteht, wogegen sich an den entscheidenden Stellen zeigen lässt, »dass der Übergang weder ›logisch‹, als ›Begriffs-Ableitung‹, noch ›historisch‹, als Erzählung, sondern allenfalls praxeologisch nachvollzogen worden ist« (Haug 2006).

II. Die Geburtsstunde der skandinavischen »K« – und wohl auch des Terms überhaupt – schlug 1973, als der junge dänische Forscher Hans-Jørgen Schanz seinen Versuch einer »Rekonstruktion des umfangslogischen Status« der marxschen KrpÖ publizierte. Das Buch wurde schnell berühmt in linken Kreisen der meisten nordischen Universitäten. Schanz knüpft an die Marx-Rekonstruktionsbewegung in den westdeutschen Universitäten an (Roman Rosdolsky, Helmut Reichelt, Alfred Schmidt), akzentuierte aber – im Unterschied zur ökonomiezentrierten Version der K, wie sie z.B. von Elmar Altvater vertreten wurde – bes. die kultur- und zivilisationskritische Bedeutung des marxschen Textkorpus. Das lag insofern nahe, als Schanz vom Fach her Ideenhistoriker war. Damit stand er Reichelts Ansichten nahe, auch darin, dass er die Ökonomiekritik von Marx als ein Analogon zu Hegels Logik betrachtete. Ein weiterer Vertreter dänischer Kapitallogik war Anders Lundkvist, der wie Schanz sich eng an Reichelt anschließt. Auch Lundkvist sieht Marx insofern in der Nachfolge Hegels, als auch für ihn die Forschungsmethode unablösbar sei von ihrem konkreten Gegenstand: »jede ahistorische und universelle Methode muss zurückgewiesen werden. […] Das Objekt des ›Kapitals‹ ist der Kapitalismus, und seine Methode muss sich demnach nach der spezifischen Struktur dieser Produktionsweise richten« (1975). Der fehlerhafte Idealismus der bürgerlichen Wissenschaft bestehe gerade darin, dass sie »die Methode als ein ahistorisches (unveränderliches) Schema betrachtet, das – vom ›reinen Verstand‹ ausgedacht – auf jedweden Untersuchungsgegenstand angewandt werden kann« (…). In ganz ähnlichem Sinn wollte Schanz die »Umfangslogik« der KrpÖ neu bestimmen, um nachzuweisen, dass immer wieder falsche Universalitätsansprüche innerhalb der marxistischen Theorietradition erhoben worden sind, v.a. materialistisch-geschichtsphilosophischer und anthropologischer Art. […] Schanz’ Programm besteht also darin, die Dialektik als Philosophie – und die marxistische Philosophie überhaupt – durch eine »K« zu ersetzen und die marxsche Ökonomiekritik auf eine Theorie der Materialitäts-, Interventions- und Subsumtionsformen des Kapitals zu beschränken (…).

Ableitung, abstrakt/konkret, Analyse/Synthese, Artikulation/Gliederung, Ausdruck, Begriff, Bestimmung/Determination, Denkform, Dialektik, Empirie/Theorie, Form, Formalabstraktion/Realabstraktion, Formgehalt/Forminhalt, Forschung/Darstellung, Gegensatz, Genesis, Geschichtsphilosophie, Hegelianismus, Hegel-Kritik, Historisches/Logisches, Kapital-Lektüre, Kategorie, Klassenherrschaft, Klassenkampf, Kritik der politischen Ökonomie, logische Methode, Methode, Philosophie, Staatsableitungsdebatte, Strukturalismus, Überdeterminierung, Wertform

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k/kapitallogik.txt · Zuletzt geändert: 2024/02/18 13:10 von christian     Nach oben
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